ERNST WIECHERT ALS SCHRIFTSTELLER DER INNEREN EMIGRATION VON ASTRID HARTMANN Skripsie ingelewer vir die Graad van Magister in di8 Letter~ en Wysbegeerte aan die Un:Lversiteit van Stellenbosch Desembe!. 1980 Hierdie navorsing is met c~e finansi~le hulp 7an die Raad vir Geesteswetenskaplike Navorsing onderneem, waarvoor ek my opregte dank wil betuig. Die menings vervat in hierdie navorsing verteenwoordig egter nie noodwendig die menings van die Raad vir Geesteswetenskaplike Navorsing nie. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za I N H A L T 0. Vorbemerkung 1. ninnere Emigration" 1.1 Definitionsversuche in der Forschung 1.2 Ereignisse, die eine Emigration nach innen bewirkten 1.2.1 Die faschistische Machtlibernahme 1.2.2 Die faschistische Kulturpolitik 2. Ernst Wiechert als Vertreter der 11 inneren Emigration" 2.1 Wiechert und die faschistische Kulturpolitik 2.2 Die Romane Wiecherts in der Zeit von 1930 bis 1945 2.2.i Die Magd des Jlirgen Doskocil 2.2.2 Die Majorin 2.2.3 Hirtennovelle 2.2.4 Das einfache Leben 3. Zusammenfassung 4. Anmerkungen 5. Literaturhinweise 1 3 3 1 1 11 1 1 19 19 25 28 40 48 56 67 70 75 Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za 0 • VORBEMERKUNG Nach 1945 ist viel liber deutsche Schriftsteller irn Exil und ihre klinstlerische Tatigkeit geschrieben worden. Zahlreiche Berichte ehernaliger Exilschriftsteller, die ihre Emigration zu begrlinden und zu rechtfertigen versuchten, erschienen. Fur die Emigration deutscher Schriftsteller wahrend des Dritten Reiches gab es oft schwerwiegende Grlinde. Sie flihlten sich rneist bedroht, sei es aufgrund ihrer politischen Haltung dern faschistischen Regime gegenliber und ihrer offenen antifaschi­ stischen Kritik, oder sei es aufgrund ihrer Herkunft. Es konnten und wollten jecoch nicht alle dern Regime feindlich gesinnten Schriftsteller ernigrieren. Viele von ihnen versucnten, innerhalb Deutschlands rnit allen rnoglichen Mitteln ihre anti ­ faschistische Haltung zum Ausdruck zu bringen, ohne standig Gefahr zu laufen, vorn faschistischen Regime entlarvt zu werden. Es ist diese Gruppe der Daheirngebliebenen, urn die schon wahrend des Dritten Reiches, besonders aber nach 1945, eine Kontroverse begann. Der Begriff "Innere Emigration" ist rnit dern Verhalten regirnekritischer Schriftsteller, die in Deutschland geblieben waren, in Zusarnrnenhang gebracht worden. Seit jeher ist dieser Begriff jedoch urnstritten. Die Meinungen darliber, ob es Schrift ­ stellern in Deutschland liberhaupt rnoglich sein konnte, eine regirnefeindliche Haltung einzunehmen und trotzdern weiter'ZU publizieren, gehen nach wie vor auseinander. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 2 - In der vorliegenden Arbeit soll zunachst einmal der Versuch gemacht werden, den Begriff ninnere Emigration" zu definieren und diesen Begriff in seiner besonderen Problematik zu beleuch­ ten. Ferner soll genauer auf die Ereigni~se eingegangen werden, die eine "Emigration nach innen" bewirkt haben konnten. Ernst Wiechert wird, aufgrund seiner umstrit.tenen Position innerhalb des nationalsozialistischen Deutschlands, aus der Vielzahl von Schriftstellern der "Inneren Emigration" heraus­ gegriffen. Es soll nachgeprlift werden, ob er ein Vertreter der "Inneren Emigration" war und wie sich seine Zugehorigkeit zu dieser Gruppe gegebenenfalls bestimmen laBt. Anhand von vier Werken Wiecherts, die zwischen 1930 und 1945 erschienen sind, soll seine Haltung dem Nationalsozialismus gegentiber untersucht werden. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 3 - 1. 11 INNERE EMIGRATION" 1.1 Definitionsversuche in der Forschung Die Frage, was der Begriff .. Innere Emigration" bedeutet, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Der Begriff ist - trotz etlicher Versuche, ihn zu definieren - immer noch umstritten. Schon seit Beginn des Dritten Reiches, besonders aber nach dem Krieg, gingen die Meinungen tiber das Vorhandensein einer nichtfaschistischen und antifaschistischen Literatur in Deutschland auseinander. Di.e Kontroverse urn den Begriff .. Innere Emigration" wurde zum Teil verursacht durch die unterschiedlichen Standp~nkte von Vertretern der .. Inneren Emigration" und emigrierten Schrift ­ stellern zu diesem Phanomen. Wahrend einige Emigranten vehe- ment das Vorhandensein einer regimefeindlichen Literatur im Dritten Reich bestrittenJ verteidigten sich demgegentiber Schriftsteller, die in Deutschland geblieben waren, indem sie darauf hinwiesen, daB eine Literatur der inneren Emigration sehr wohl bestanden habe und daB der Begriff .. Innere Emi.gra- tion" bis zum Begiim der nationalsozialistischen Herrschaft zurtickreiche. Thomas Mann und Frank Thiess auBerten sich di- rekt nach dem Krieg zu diesem Thema. Frank Thiess, der sich als Vertreter der inneren Emigration begriff, hatte schon zu Beginn des D~itten Re1ches die MeinuDg vertreten, daB diejenigen . . .. unter den geistigen Deutschen, deren produktive Energien nach Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 4 - Uberzeugung der Nationalsozialisten in falsche Bahnen liefen, ( ••• ) niemals durch Verbote oder auBere Druckmittel gezwungen werden konnten, ihr Wesen zu verleugnen. Ihnen bliebe am Ende kein anderer Weg als die,,innere Emigration' ." 1 ) Thomas Mann auBerte sich demgegentiber wie folgt: nES mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bticher, die van 1933 his 1945 in Deutschland tiberhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut, in die Hand zu nehmen. Ein Geruch van Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden." 2 ) Wie extrem die Meinungen zum .Sachverhalt einer nicht- bzw. antifaschistischen Literatur auseinandergehen, wird schon anhand dieser zwci Beispiele deutlich. Wal ter Berendsohn, der r.ach Schweden emigriert war, meinte, der Begriff .. Innere Emigration" solle abgeschafft werden, da er nur die .. Kluft" zwischen der Literatur des Exils und derjenigen Autoren, die in Deutschland geblieben waren, verdecke. 3 ) Franz Schonauer vertritt in seinem 1961 erschienenen Buch Deutsche Literatur im Dritten Reich die Meinung, daB Schriftsteller im Dritten Reich nicht .. nach innen emigrieren" konnten. 4 ) Mit sei- ner Darstellung zur Literatur im Dritten Reich wollte er den .. Mythos" der inneren Emigration zerstoren. Er verdammt die Literatur der inneren Emigration als .. Fluchtliteratur", die bestenfalls .. seelsorgerisch-humanistische Bedeutung" habe. 5 ) Er meint, daB van einem geistigen Widerstand und einer Litera- tur der inneren Emigration erst nach 1945 die Rede war, und zwar anlaBlich der Diskussion tib~r die deutsche Kollektivschuld. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 5 - Er luSert sich folgendermaBen dazu: .. DaB die Vorstellung von einer Literatur der inneren Emigration einer Situation der Rechtfertigung entstammt, laBt zumindest Zweifel aufkommen an der Richtigkeit dieser Bezeichnung". 6 ) Alfred Andersch meint 1948, daB Schriftsteller innerhalb Deutschlands, wenn si·e sich nicht von der faschistischen Ideologie beeinflussen lassen wollten und dem geistigen Druck widerstehen wollten, aufgrund der Zensur zu einem .. gewissen literarischen Eskapismus" gezwun­ gen waren. 7 > Ein anderer Kritiker, Hans Baumgart, wirft den Schriftstellern der inneren Emigration 1962 in einer Disserta- tion vor, daB sie zu Kompromissen bereit gewesen seien, und vertritt die Ansicht, daB alle, .. di~ nicht bereit waren in ir- gendeiner Weise dem Faschismus zu dienen, ftir seinen Kulturauf- putz oder ftir die Verschleierung der nackten Tatsachen zu sor- gen, ( .•• ) ihre Heimat verlassen" muSten. 8 ) Auffassungen von Schriftstellern aus der Zeit des Dritten Reiches stehen diesen AuBerungen Anderschs, Baumgarts und Scho­ nauers entgegen. Belege daftir, daB der Gedanke der inneren Emi- gration schon vor 1945 sowohl im BewuBtsein der Daheimgebliebe­ nen als in Gedanken und schriftlichen AuBerungen der Emigranten vorhanden war, sind in den Werken mehrerer Schriftsteller zu fin- den. Heinrich Mann schrieb bereits 1934, daB auBer den Exil- Schriftstellern auch einige Schriftsteller innerhalb Deutsch­ lands zu der .. emigrierten Literatur 11 geh6rten. 9 ) In Deutschland auBerten sich vor allem Ernst Barlach und Jochen Klepper zu die- sem Gedanken; sie meinten, daB sie zum .. Emigrantenleben im Va- Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za \) - 6 - terland" verurteilt waren. 10) Klepper sprach schon 1933 van seiner .. Emigranten-Stimrnung 11 • 11 ) Ernst Barlach, der sich seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in seiner klinst- lerischen Arbeit behindert flihlte, schrieb 1937, daB er eine AusgestoBenheit erfahre, die mit der .. Preisgabe an Vernich­ tung"12> zu vergleichen sei. Er komrnt zu der SchluBfolgerung, daB sein Zustand aufgrund seiner AusgestoBenheit .. noch libler als der eines echten Emigranten 11 sei. 13 ) F.C. Weiskopf charak­ terisieit 1939 innere Emigranten als .. literarische Vertreter jener deutschen Volksschichten, die im ,Dritten Reich' leben, aber dem Faschismus .< ... ) gleichgliltig, miBtrauisch und zum Teil feindselig gegenliberste~en 11 • 14 ) Klaus Mann verwendet den Begriff der inneren Emigration 1939 in seinem Roman Der Vulkan, der in Amsterdam erschien. Am SchluB dieses Romans heiBt es: .. zwei Linien, zwei mit Energie geladene Kurven liefen parallel: die Krafte der inneren und der auBeren Emigration wollen sich nun verbinden ... 15 ) Zur Verbindung der .. auBeren" und der .. inne- ren 11 Emigration hatte sich 1938 auch Thomas Mann geauBert. Er bekannte sich zu denen in Deutschland, die .. seine Schmerzen und Hoffnungen teilten". Er sagte: .. Wir, die Deutschen der inneren und auBeren Emigrationn 16 ), obwohl er nach Kriegsende diese Verbindung zwischen Schriftstellern im Exil und Lmeren Emigranten aufs heftigste bestritt. Hier sei besonders auf die Kontroverse zwischen ihm und Frank Thiess ven.rj.esen. Die innere Emigration ist van Schriftstellern verschiedentlich auch als Lebensform d~rgestellt word2n. Ernst Jlinger verwendet Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 7 - in seinem Roman Auf den MarmorkZippen das Bild der .. unberlihrten . . Stille 11 im .. zentrurn des Zyklons 11 • 17 ) Das Bild von der windstil- len Mitte des Taifuns konnte, nach Grimm, das Urerlebnis der inneren Emigration sein. Dieses Bild ist auch das Grundmotiv in Ernst Wiecherts Roman Das einfaehe Leben. Wiechert spricht von der Insel als einem .. Asyl, in das man sich fllichten konnte · aus der Welt der Lautsprecher, der Umzlige, der Denunzianten, des Stacheldrahtes ... 1 B) Das bezieht sich auf die Kunst sowie auf das Leben. Flir Wiechert ist beides ein .. stiller Winkel 1119 ), urn den die Geschichte wlitet. Reinhold Grimm vertri b: zu Beginn der siebziger Jahre: die An- sicht, daB man bei der Betrachtung der inneren Emigration von einer .. gleitenden Skalu1120 ) ausgehen mlisse, die vom .. aktiven Wi_derstand bis zur passiven VerWeigerung" reiche. 21 ) Jener gipfele in der offenen Tat, wahrend diese sich im ganzlichen Verstummen auBere. Ausschlaggebend sei jedoch, daB es sich urn ein unmiBverstandliches und demonstratives Verstummen handle. Wer sich nur vom Faschismus abwandte und schwieg, zeigte, laut Grimm, noch lange keinen Widerstand. Er ist der Meinung, daB ein Schriftsteller, der nicht faschistisch schrieb, noch lange nicht antifaschistisch oder gar nichtfaschistisch schrieb. Allein eine deutlich erkennbare Gegenhaltung verdiene den Namen .. Innere Emigration". 22 ) Die ideologische Grundlage flir die inne- re Emigration, meint Grimm, liege in Luthers Auslegung des Romerbriefs und der daraus folg8nden Zwei-Reiche-Lehre. 23 ) Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 8 - Der Literaturkritiker Wolfgang Brekle aus der DDR auBert sich ebenfalls zu Beginn der siebziger Jahre zu dem Begriff .. Innere Emigration". Er meint, daB zur Literatur der inneren Emigration jene Literatur gezahlt werden konne, deren Autoren nicht von der nationalsozialistischen Ideologie beeinfluBt werden wollten. Sie lieBen sich nicht von der faschistischeri Politik usurpieren, sondern schrieben humanistische Werke. Die innerdeutsche anti- faschistische Literatur sei der aktivste Bestandteil de1:: inneren Emigration gewesen. Hierzu zahle die Literatur, die zwis~hen 1933 und 1945 in Deutschland geschrieben wurde, urn antifaschisti- sche Haltung auszudrlicken und als Mittel antifaschistischen . Widerstandes zu diener.. Antifaschistische Literatur sBtze sich, laut Brekle, mit dem Wesen des Faschismus auseinander, aber ge- lange doch nicht immer zur Kr1tik am Faschismus. Dies hange zu- s~en mit den Bedingungen, unter denen die jeweiligen Werk2 entstanden seien, sowie mit der Weltanschauung des jeweiligen Autors. Man konne allerdings nicht oft eine eindeutige Grenze zwischen antifaschistischer und nichtfaschistischer Literatur . h 24) z1e en. Ende 1979 greift Die Zeit das Thema der inneren Emigration wie- der au£. Fritz J. Raddatz' Auffassung, daB Klinstler, die keine Nationalsozialisten gewesen seien, wohl aber in Deutschland blieben und ihren klinstlerischen Beruf auslibten, sich in Schuld verstrickt hatten, 25 ) ist nicht ohne weiteres zuzustimmen. Aus der Sicht Raddatziware die Frage, ob es liberhaupt so etwas wie eine .. Innere Emigration" gegeben habe, hinfallig; denn wer iril Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 9 - Dritten Reich lebte und sich klinstlerisch betatigte, wlirde da­ mit von vornherein das System anerkannt haben. In einer Replik auBert sich Marion Donhoff gegen diese Auffassung von Raddatz und meint, daB die Kunst nirgends so lebenswichtig flir Menschen sei wie in einem totalitaren Staat; "denn die Kunst ist die ein- zige Gegenkraft gegen eine brutale, pervertierte Welt. ( .•• ) Aus ihr schopfen die zur Opposition Entschlossenen Kraft und Uberzeugung." 26 ) Walter Jens verwirft ebenfalls Raddatz' Auffas­ sung und vertritt den Standpunkt, daB sich eine literarische innere Emigration sehr wohl manifestiert habe. 27 ) Aus Jer Flille der verschiedenen Auffassungen ZD~ Begriff .. Innere Emigration" laBt sich folgendes kondensierert: Es gab im Dritten Reich etliche Schriftsteller, die ~ich nicht in die faschistische Kulturpolitik einbeziehen lassen wollten, weil sie sich nicht mit der faschistischen Ideologie identifizieren konnten und infolge-. dessen nicht bereit waren, sich flir diese Kulturpolitik einzu- setzen. Obwohl diese Schriftsteller dem Faschismus miBtrauisch oder feindselig gegenliberstanden, war es ihnen moglich, ihre Werke zu veroffentlichen. Da die Publikation von Werken unter ·bestimmten Bedingungen irn Rahrnen der faschistischen Kulturpoli ­ tik zu geschehen h~tte, waren regimekritische Schriftsteller gezwungen, gewisse Taktiken zu gebrauchen, die es ihnen ermog­ lichten, ihre Meinung~~ zu veroffentlichen, ohne daB ihnen eine antifaschistische Haltung nachgewiesen werden konnte. Die mei- sten Schriftsteller schrieben hurnanistische Werke, denen der .. volkische" Charakter fehlte. Indem sie ,,volkische" Gedanken Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 10 - vermieden, drlickten sie schon eine Gegenhaltung zum Faschismus aus. Durch die Verherrlichung von Ideen, die dem Faschismus entgegenstanden, werteten diese Schriftsteller implizit faschi­ stische Ideologeme ab, obwohl sie am Faschismus nicht offen Kritik liben konnten. Sie auBerten antifaschistische oder nicht­ faschistische Ideen, die den Leser zurn geistigen Widerstand animieren sollten. !eh stimme mit Brekle liberein, wenn er meint, daB sich Schriftsteller der inneren Emigration n~cht in die faschistische Kulturpolitik einbeziehen lieBen und hurnanistische Werke schrieben. Der Begriff .. Innere Emigration" ist dann legi­ tim, wenn Schriftsteller innerhalb Deutschlands sich aufgrund ihre.c Einstellung gegenliber dem faschistischen I-Ierrschafts­ system zu einer Absonderung von der faschistischen Kulturpolitik genotigt sahen. Sie .. emigrierten" Durch die Herausgabe von sogenannten "WeiBen Listen" wurden li- terarische Werke begutachtet, die im faschistischen Sinne posi­ tiv zu beurteilen waren. Nationalsozialistische Literatur wurde als "volkische Dichtung" angesehen, wenn sie "das Schicksal des Volkes als den hochsten Gegenstand der Kunst proklamierte". 42 ) Autoren, die sich nicht in die faschistische Kulturpolitik ein­ beziehen lassen wollten, befanden sich in einer schwierigen Lage. Fur den Schriftsteller, der sich nicht den faschistischen Bedingungen fligen und der seine schriftstellerische Tatigkeit als Waffe im Kampf gegen den Faschismus einsetzen wollte, gab es laut Ernst Fischer drei Moglichkeiten. Hierzu auBerte er sich .1933 im ersten Heft der Prager Exil-Zeitschrift Neue Deutsche Blatter wie folgt: "Man kann in Deutschland bleiben und getarnt, aus sprachlichem Hinterhalt und kunstlerischer Maskierung, den Faschismus. angreifen, gewartig, daB einem frli- her oder spater die Feder aus der Hand geschlagen·wird. Man kann, anonym, flir die illegale Literatur iro Lande und flir die antifaschistische Presse im Ausland arbeiten. Man kann schlieB- lich Uber die Grenze gehen und vom Ausland her zu den Deutschen sprechen." 43 > Viele deutsche Schriftsteller befanden sich nach der faschistischen Machtlibernahme 1933 in ei~er Situation, die sie zu einer Entscheidung zwang. Etliche Schriftsteller gingen Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 18 - _ins Exil. Einige versuchten, innerhalb Deutschlands ihre Kritik dem Faschismus gegenliber zum Ausdruck zu bringen. Zu ihnen zahlten die Schriftsteller der inneren Emigration. Obwohl eini­ ge Schriftsteller als Vertreter der inneren Emigration angese­ hen werden konnen, gibt es andererseits auch Schriftsteller, deren Haltung dem Faschismus gegenliber anfangs nicht eindeutig war. Oft wurden sie zu Beginn des.faschistischen Regimes von offizieller Sei te als dem Regir1~.e gegenliber posi ti v gesinnt an­ gesehen, und ihre Werke wurden sogar gefordert. Im Laufe der Zeit cffenbarten sie jedoch eine Haltung, aus der man Kritik am faschistischen Herrschaftssystem ableiten konnte. Zu diesen Schriftstellern, deren Position innerhalb der faschi­ stischen Kulturpolitik zunachst zweideutig war, gehorte auch Ernst Wiechert. Seine Position in der faschistischen Kulturpo-. litik ist seit jeher umstritten. Es soll nun nachgeprlift wer­ den, ob Ernst Wiechert zu den Schriftstellern der inneren Emi­ gration gezahlt werden kann und wenn ja, inwiefern sich aus seinen Werken eine Gegenhaltung zum Faschismus ableiten laBt. Zu diesem Zweck sollen vier Werke Wiecherts, Die Magd des Jurgen Doskocil~ Die Majorin~ Hirtennovelle und Das einfache Leben, die alle zwischen 1930 und 1945 entstanden, liberprlift werden im Hlnblick ~uf eine mogliche regimekritische Haltung Wiecherts. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 19 - 2. ERNST WIECHERT ALS VERTRETER DER 11 INNEREN EMIGRATION 11 2.1 Wiechert und die faschistische Kulturpolitik Die NSDAP zeigte anfangs ein groBes Interesse an dem blirgerli- chen Schriftsteller Wiechert, weil er als konservatiy galt, und daher meinten die Faschistea, ihn fur ihre kulturpolitischen Ziele einsetzen zu konnen. Bis etY.Ta 1936 wurde Wiechert als Reprasentant der konservativen blirgerlichen Schriftsteller ak­ zeptiert und von der. Partei als .. einsatzwlirdiger Autor .. 44 ) be- trachtet. Ein wichtiger GrunCi, warum Wiechert anfangs vnn den Faschisten positiv beurteilt wurde, war, daB er ebenso wie die Faschisten die Zustande der Weimarer Zeit energisch ablehnte. Er kritisierte, laut Hildegard Chatellier, die .. sittenlosig- keit, Gehassigkeit und Pobelhaftigkeit in der Literatur seiner Z "tll 45) el. • Als konservativer Schri·ftsteller verwendete Wiechert in seinen Werken Themen, die ~uch im nationalsozialistischen Sinne akzep­ tabel waren, z.B. MiBtrauen gegenliber Geist und Kultur, Ver- ehrung der Mutter, .. Kraft der Scholle 11 und .,Kult des Bouens 11 . Wiechert bestati~te jedoch noch 1946, daB er keine .. Blut-und­ Boden11-Bticher, sondern .. Boden 11 -Bticher hatte sc~reiben wollen. 46 ) Er auBerte sich folgendermaBen dazu: .. Ich wollte nicht Kampf- schriften schreiben, aber ich wollte fortfahren, meine Blicher so zu schreiben wie bisher. Nicht ,Blut und ~oden'-Blicher, aber Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za I - 20 - ,Boden'-Blicher, nur daB auf rneinern Boden die Liebe wuchs und nicht der HaB oder die gerrnanischen Gotterenkel. Und daB die­ ser Boden so uralt war wie das erste Buch Mose.•i 47 ) Wiechert setzt sich dadurch eindeutig vorn nationalsozialistischen uBlub0" ab. Hildegard Chatellier stellt jedoch die Frage, ob seinen Lesern irnrner klar gewesen se:i, ndaB auch sein ,Boden' rnit dern der ,volkhaften Bodenliteratur' nichts gerneinsarn haben sollte". 48 ) DaB Wiechert in npeinlicher Nahe zurn Nationalsozia- lisrnus stand"- wird deutlich, nwenn er sich einen Staat aus- malt, der dern Buchhandler ein Existenzrninirnurn garantiert und ihn so zur Gegenleistung verpflichtet, ,ordentliche Bticher' zu verkaufen". 49 ) Dadur~h wurde erst errnoglicht, daB die Faschi- sten sich Gedanken und Werke von Schriftstellern wie Wiechcrt zunutze rnachten, auch wenn Wiecherts nVolk" nnichts gernein hat rnit dern ,Volk' wie Goebbels es begreift".SO) Da es noch keine parteieigene Dichtung51 ) gab, war es flir die Faschisten wich- tig, bestehende Literatur ftir eigene Zwecke einsetzen zu kon- nen. 'Was sein dichterisches Konnen betrifft, wurde Wiechert von faschistischer Seite als ein nechter Dichter" 52 ) angesehen. Seine nFahigkeiten des sprachlichen Ausdrucks und der ktinstlc­ rischen Vergegenstandlichung" 53 ) wurden besonders geschatzt. Man nanute ihn einen nMeister des Wortes". 54 ) DaB die Faschisten Wiechert seit etwa 1936 kritisch und negativ begegneten, liegt wohl hauptsachlich daran, daB er in aktuellen politischen Fragen offentlich opponiert hatte. Seine Weltan- schauung lieB sich nicht rnehr rnit dGn nVOlk::..schen" Ideen der Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 21 - Faschisten in Einklang bringen. Wiechert hatte 1933 und 1935 zwei Reden zu den Themen .. Der Dichter und die Jugend" und .. Der Dichter und die Zeit" an der Mlinchner Universitat gehal~ ten. Diese Reden erregten bei den Nationalsozialisten besonde~ res Aufsehen. Die zweite dieser Reden war eine Lesung aus sei- nen eigenen Werken. A.ls Einleitung sprach er liber den Dichter und die Zeit und die Beziehung zwischen Dichtung und Zeit. Wiechert lehnte sich vor allem auf gegen die vermeintliche Trennung von Kunst und Politik, wie sie im faschistischen Kul­ turprogramm dargestellt wurde. 55 ) In Wirklichkeit war dieses Kulturprogramm jedoch nur Schein, der verbarg, daB die Kunst der faschistischen Ideologie zu dienen hatte. Wiechert pranger­ te die Zustande innerhalb des nationalsozialistischen Systems inuner offener an und l~hnte jede Zusammenarbeit mit den Natio­ nalsozialisten ab. Er sprach von .. wildgewordenen Volkserneue­ rern"SG) und warnte seine Zuh6rer, sich nicht von den Faschi­ sten .und ihrer ,.Verherrlichung von Brutalitat und Barbarei .. s7), .. Boxerethos" und .. Gladiatorenruhm" .. verflih:ren zu lassen".SS) Was seine Arbeit als Schriftsteller betrifft, wurde Wiechert nun von faschistischer Seite mit gr6Berer Skepsis betrachtet. Dies zeigt sich in der Kritik, die seinen Werken seit 1936 entgegengebracht wurde. Ein faschistischer Kritiker, Peters, kritisierte Wiecherts ~veltanschauung und Menscnenbild, deren Grundproblem nach Meinung der Faschisten.die Stellung des Menschen zwischen Natur und Kultur war. 59 ) P~ters auBerte sich wie folgt hierzu~ .. FUr alles, WdS nicht Natur ist, kennt Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 22 - Wiechert nur Kritik und Ablehnung."GO) Scharf kritisiert wurde an Wiechert, daB er durch die Geschehnisse der Zeit, in der er lebte, zwar erschlittert war, aber daB er vor dieser Realitat floh, statt eine Losung .. in einer mannhaften Begegnung" 61 ) mit der Realitat zu suchen. Das besagt, daB die Faschisten darliber verargert waren, daB Wiechert sich nicht flir sie einsetzte. Die ausgepragte .. Geflihlsamkeit" in seinen Werken flihrte nach faschi~tischer Kritik .. zu einer Trlibung des sachlichen und kritischen Unterscheidungsvermogens". 62 ) Die Gottnahe, die in Wiecherts ndichterischer Phantasie" in der nNahe zur Einsam­ keit und zu einer unberlihrten Waldnatur" 63 ) bestand, war weit entfernt von der Gegenwart, von ihren Forderuns:=n und Noten. Obwohl Wiechert in seinen Werken nicht direkt auf Fragen so­ zialer und politischer Ordnung in ft~at und Gemeinschaft ein- ging, waren diese Fragen dar Ordnung und Form der Gemeinschaft doch ein Teil seiner Weltanschauung. Er nahm insofern S~ellung dazu ein, als er alles Zivilisatorische und Zweckhafte kriti- sierte. Aus faschistischer Sicht wurde er deswegen kritisiert; denn man meinte, ihm sei .,die naturho.fte, kleine, gewachsene Gemeinschaft des Blutes, des Erlebens und des Geistes gemaB". 64 ) Hildegard Chatellicr stellt die Frage, ob Wiechert sich wirk- lich geandert habe, oder ob das Regime noch nicht .. bis zum eigentlichen Wiechert vorgestoBen" 65 ) sei. Sie war der Meinung, daB das Regime .,hinter rnanchen Gemeinsamkeiten, die Wiechert mit den geforderten konservativen Verfassern verband, einen wesentlichen Teil seiner Art verkannt (habe) , und diese andere Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za ------------- -- - 23 - Seite Wiecherts wird jetzt, da er politisch verdachtig ist, mit besonderer Deutlichkeit herausgestellt." 66 ) Der unmittelbare Grund fur Wiecherts Verhaftung durch die Gestapo am 6. April 1938 war sein Protest gegen die Inhaftie­ rung des antifasc~is~ischen Theologen Martin Niemoller. Wesent­ lich trugen aber seine Reden, die er vorher an der Mlinchner Universitat gehalten hatte, zu seiner Inhaftierung bei. Nach­ dem er fast zwei Monate im Mlinchner Polizeige£angnis in Unter- suchungshaft war, wurde er in das Konzentrationslager Buchen- wald eingeliefert. Selbst in der Haft hatte er eine privile- gierte Position, einerseits, weil die Nationalsozialisten mein­ ten, daB sie mit gezielt eingesetzten "ErziehungsmaBnahmen•• 67 ) den opponierenden Dichter zur "Besinnung" 68 ) bringen konnten. Andererseits wollten die Nationalsozialisten sich nicht "vor der Weltoffentlichkeit dem Ruf aussetzen,'prominente Schrift ­ stel~er physisch zu vernichten". 69 ) Allem Anschein nach hatten die Nationalsozialisten Wiecherts Verhaftung, seine Internie­ rung im Konzentrationslager und seine Freilassung geplant, so­ fern er den relevanten politischen Instanzen die Zusicherung seiner Loyalitat geben wlirde. Dadurch sollte er "politisch verfugbar, zumindest aber anpassungsbereit gemacht werden".?O) Am 30. August 1938 wurde Wiechert aus der sogenannten "Schutz­ haft" 71 ) wieder entlassen, n'achdem er zwar dem Regime gegen- liber seine Loyalitat bekundet hatte, aber keineswegs anpas­ sungsbereit geworden war. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 24 - Wiecherts Rlickzug auf eine Position der Innerlichkeit nach seiner Entlassung war .. zugleich Erfolg wie MiBerfolg des fa­ schistischen Terrors". 72 ) Die Konsequenz, die Wiechert daraus zog, war einerseits eine Absage an alle politischen Aktivita- ten und andererseits eine Konzentration in zunehmendem MaBe auf die .. Freiheit des Herzens". 73 ) Seine neutung des Faschis­ mus, die in eine ahistorische Phanomenologie des Barbarischen mlindete, war einer der Grlinde flir seinen Rlickzug aus der Wirk- lichkeit. Er war der Meinung, daB sich ein Dichter nicht mehr einer Realitat stellen konne, die er selbst nachtraglich zu · einer Epoche .. des Bosen, der. Finsternis und der blutigen Ge­ walt"74) damonisiert hat. Ihm wlirde daher in seinem Werk nur .. die Flucht in eine andere Welt oder die Verwandlung dieser zerfallene:n Welt in eir..e d.er Wahrheit und der letzten Gerech­ tigkeit bleiben".?S) Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 25 - 2.2 Die Romane Wiecherts in: der Zeit von 1930 bis 1945 Wenn man Kritiken aus der Zeit des Nationalsozialismus liber Wiecherts Werke seit 1930 liest, stellt man fest, daB seine Werke nicht durchweg abgelehnt wurden. Sie wurden jedoch .. nur in Auswahl und selbst diese n6ch mit Vorbehalten" in die Be­ stande der Volksblicherei aufgenommen. 76 > Diese Romane durften, laut Peters, .. keinesfalls so herausgestellt werden, daB sie die Bedeutung des Gesamtwerkes und der dahinter stehenden Dichterpersonlichkeit vor der offentlichkeit hoher erscheinen lassen, als sie tatsachlich ist". 77 > Die Kritik des faschisti ­ schen Kritikers Peters ist aufschluBreich im H~nblick auf die Frage, ob und inwiefern Wiechert als Schriftsteller der inne- ren Emigration angesehen werden kann.· Peters auBert sich unter anderem folgendermaBen: .. Er (Wiechert) steht zeitweise nicht nur am Rande dessen, was wir als gesund und normal bezeichnen, sondern jenseits der Grenze. Das formale Konnen und die dich- terische Leistung, denen wir in den Werken der letzten Schaf- fensperiode begegnen, sind kein Gegenbeweis. Geistige und see- lische Trlibung kann mit dichterischem Konnen und formaler Be­ gabung Hand in Hand gehen."?B) Besonders der letzte Satz sagt deutlich, daB tro~z Wiecherts dichterischer Begabung, die nach wie vor anerkannt wurde, die Nationalsozialisten eine Gefahr sahen, daB Wiecherts Werke seine Leser beeinflussen konnten. Peters meint dazu: .. Die Welt des Wiechertschen Werkes ist eine Welt der absoluten Innerlichkeit, die ausschlieBlich unter der Herrschaft des Geflihls steht. ( ..• ) Diese Herrschaft des Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za --------~~~~~~~~-----------~~---- - 26 - GefUhls wirkt dann noch weiter. Sie wird zu einem Chaos der GefUhle und fUhrt zu einer TrUbung des sachlichen und kriti ­ schen Unterscheidungsvermogens. Von der Seite der GefUhle und Affekte her ist unser Stellungnehmen, Entscheiden und Tun be­ kanntlich am leichtesten.zu beeinflussen.n 79 > Obwohl die Kritik an Wiechert sich gegen Ende der dreiBiger Jahre verscharfte, ist es doch bemerkenswert, daB keines sei- ner Blicher je verboten wurde. An dieser Stelle taucht wieder die Frage auf: Hat Wiechert seine Gegenhaltung zurn Faschismus literarisch so gut verkleiden konnen, daB die Nationalsoziali~ sten ihm keine antifaschistische Haltung in seinen Werken nachweisen konnten, obwohl sie ahnten, daB seine Leser .. nach­ teilig" beeinfluBt werden konnten. Arif die eindeutig feindseli- ge Haltung der Zeitschriftenpresse nach Wiecherts Entlassung aus dem Konzentratiorislager hin meint Hildegard Chatellier, daB man von offizieller Seite aus Wiechert publizieren lieB, .. urn Unmut im literarisch interessierten In- und Ausland nicht aufkommen zu lassen. Aber man laBt gleichzeitig die Presse ge- schlossen gegen Wiechert auftreten, urn seinen vielleicht ge­ ·fahrlichen EinfluB im Keim zu ersticken."SO) Wiechert macht in seinen Werken von einer bestimmten Erzahl- weise Gebrauch, urn sc~_ne Lebenseinstellung zum Ausdruck zu bringen. In Die Magd des Jurgen Doskocil, Die Majorin, Hirten­ novelle und Das einfache Leben verwendet er die Erzahlweise der .. szenischen Darstellung". Nach Vogt ist dies eine .,breite, Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 27 - wenig geraffte Erzahlweise, die Geschehen moglichst unmittelbar ( ••• ) prasentieren will und deshalb Personenrede in all ihren Formen in sich aufnimmt". 81 ) Das Erzahlen ist ein Vermittlungs- akt, in dem der Auter seinem Leser gewisse Gedanken und Ideen vermittelt. Da Wiechert in seinem Erzahlbericht von der dirckten Personenrede Gebrauch macht, rlickt er die Cha£aktere der Erzah- lung in den Vordergrund. Mittels der direkten Rede stellen sie sich selbst dar. Die erlebte Rede tragt ebenfalls zur Selbst- darstellung der Charaktere bei. Wiechert laBt sie oft Gedanken und Empfindungen unausgesprochen refiektieren. Der Erzahlerbe­ richt und die Personenrede sind bei Wiechert nicht von einander zu trennen. Er verwendet in seinen Werken Gedanken, die ihn personlich beschaftigen, und er setzt sich anhand dieser beson- deren Erza~lweise mit diesen Gedanken auseinander. Daher kann man einen Bezug zwischen Wiechert und seinen epischen Charaktern herstellen. Der faschistische Kritiker Peters auBert sich fol- gendermaBen dazu: .. Da Wiecherts Schaffen ganz ausgepragten per- sonlichen Bekenntnischarakter tragt und er in seinen Blichern entweder sich selbst ausspricht oder zu dem, was die Zeit be­ wegt, Stellung nimmt, ist es in diesem Fall8 besonders auf­ schluB-reich, Mens eh und Werk in Beziehung zu setzen .. " 82 ) Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 28 - 2.2.1 Die Magd des Jlirgen Doskocil Dieser Roman erschien 1932, also noch vor der faschistischen Machtlibernahme und der darauf folgenden faschistischen Kultur­ politik. Doch war die Zeit, in der der Roman entstand, schon gepragt van dem zunehmenden EinfluB des Faschismus in Politik und Gesellschaft. Die Frage nach einer antifaschistischen Hal­ tung ware also auch schon an dieses Werk zu stellen. Faschistische Kritiker Wiecherts stehen diesem Roman positiver gegenliber als seinen frliheren Werken, die ihrer Meinung nach gepragt sind van libermaBiger Geflihlsamkeit und selbstqualeri ­ schem Leid. Im Gegensatz zu dem liberaus subjektiven Charakter der Frlihwerke begrliBte man es in nationalsozial~st~schen Krei­ sen, daB in Die Magd des eJurgen Doskocil Wiechert .. nicht mehr mit seinen eigenen Problemen und dem Damon in der eigenen Brust1183 ) ringe. Der Roman wurde nach einer Prlifung mit den schon erwahnten .. vorbehalten 11 in die Volksblicherei aufgenornrnen. Auf nationalsozialistischer Seite war man sich auch der weiten Verbreitung dieses Buches bewuBt. In der Kritik von Peters heiBt es: .. Die weite Verbreitung dieses Buches ist ein Beweis daflir, wie bald WiP-chert den Leser zu fesseln vermag, wenn er seine Mittel mit Ma~ und unter Wahr~ng der klinstlerischen Form anwendet". 84 ) Die Nationa.lsozialisten wiesen aber auch darauf hin, daB der Roman seine Leser .. negativ 11 beeinflussen konnte. Nur scheint Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 29 - man nie genau festgestellt zu haben, worin denn nun die nachtei­ lige Beeinflussung bestehen konne. Die positive Kritik konnte genau begrlindet werden85 ), aber die Ablehnung wurde lediglich in vagen Begriffen wie .. geistige und seelische Trlibung"SG) au~­ gedrlickt. Es soll deshalb einmal genauer nachgeprlift werden, welche inhaltlichen Faktoren in diesem Roman aus faschistischer Sicht zu einer .. geistigen und seelischen Trlibung" hat.ten flihren konnen und ob anhand dieser Faktoren eine antifaschistische Haltung Wiecherts nachzuweisen ist. Wie in den meisten Rornanen Wiecherts steht hier der Mensch als Einzelwesen zwischen Natur und Zivilisation oder Kultur. Der Fahrrnann Jlirgen Doskocil wohnt abseits eines Dorfes in seiner Fischerhlitte an einern FluB, der zwei Dorfer von einander trcnnt. Er ist nie Teil der Dorfgemeinschaften, und alles Zivilisatori ­ sche betrachtet er aus einer Position des AusgestoBenseins und der ~geschiedenheit. Seine Zuflucht ist die Natur, die hier als heilende Kraft fUr den Menschen in seinen Noten und Verwir- rungen dargestellt wird. Aus faschistischer Sicht ist die Na- turverbundenheit d8s Menscpen nicht negativ, wenn sie die .. Blut~und-Boden"-Ideologie unterstlitzt. Wiechert aber stellt den Menschen irnrner in einen Konflikt zwischen Natur und Zivili- sation, der letzten Endes dadurch gelost wird, daB der Mensch sich aus der Zivilisation zurlickzieht und seinen Frieden und seine Kraft aus der Natur schopft. Hieraus spricht eine Ableh- nung alles Zivilisatorischen, eine Abwertung des zivilisierten Gerneinschaftswesens Mensch und eine Aufwertung des von der Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 30 - Zivilisation und der Gemeinschaft isolierten Einzelmenschen. Die Nationalsozialisten dagegen v~rherrlichten den Massenmen­ schen, der seine Individualitat dem nationalsozialistischen Gemeinschaftsleben unterordnet oder ganz aufgibt. Das ist z.B. deutlich zu erkennen an ihrer Einstellung zu dem Begriff Ge­ meinschaft. Der Gedanke der Zusarnrnengehorigkeit einer Gruppe in bezug auf ein gemeinschaftliches Interesse, das liber das Eigeninteresse hinausgeht, spielt eine wichtige Rolle. Hier kornrnt es auf den Menschen nur als Teil einer Gruppe oder der Masse an. Er hat nur innerhalb einer Interessengemeinschaft eine Bedeutung. Der Begriff der Kameradschaft ist eng mit die­ sem Gemeinschaftsgeflihl verbunden. Innerhalb der Gruppe ist man auf einander eingestellt, urn das Gemeinschaftsinteresse zu fordern. Wlechert sieht in dem entindividualisierten Massenmen­ schen nur das Schlechte und stellt ihn dar, als ob man ihm nicht vertrauen ~onne, da er, wie in Die Magd des JUrgen Dos­ kociZ deutlich hervorgehoben wird, besessen sei von tierischer Triebhaftigkeit, Neid, HaB und Rachsucht. Mit dieser Auffassung widerspricht Wiechert dem Bild der Nationalsozialisten vom Massenmenschen, der von ihnen nur deshalb als ,,edel, hilfreich und gut 11 gesehen wird, weil er eben kein Individuum mehr und damit beliebig manipulierbar geworden ist. Somit zeigt der Roman, was dieses Bild vom Menschen betrifft, durchaus eine antifaschistische Haltung. Mit Ausnahme der ganz wenigen Personen, die aktiv an dem Leben des Fahrmanns Doskocil teilhaben, versuchen alle Menschen, selbst die Kinder, ihm das Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 31 - Leben zu erschweren. Ji.irgens AusschluB aus dem Kreise seiner Mitmenschen beginnt schon in seinem eigenen Hause. Selbst auf dem Sterbebett bringt seine erste Frau ihm nur Hohn und Ver­ achtung entgegen, und als sie gestorben ist, erkennt Ji.irgen, daB dieses schweigende Gesicht nicht zu ihm gehort ... sein Spa­ ten ist ihm vertraut und sein Pflug, sein Ruder und sein Boot. Aber dieses war ihm nie vertraut, kam in sein Leben herein wie ein fremder Stein, schlug an sein Herz und fiel von ihm ab" (S.13). Wie fremd ihm das Sozialwesen Mensch ist, zeigt sich auch in seiner Feststellung, daB nur der Mensch .. die Mauer der Fremdheit von Herz zu Herz" baue (S.12). Irnmer werden hier also die Menschen, womit Wiechert 1ie der Natur entfremdeten Gemeinschaftswesen meint, als die Fremden und Unnahbaren dar­ gestellt. Diesen Gemeinschaftswesen stellt Wiechert einen mit der Natur verbundenen Einzelmenschen gegenliber. In seiner Ein­ samkeit sucht dieser Einzelmensch nicht, wie man vielleicht erwartet, Trost bei anderen Menschen, sondern bei den Tieren, denn .,Tiere sind besser als Kinder. Sie spotten nicht und sie konnen nicht sprechen hinter ihm her 11 {S.15). Hier wird ein deutlicher Rlickzug in die Abgeschlossenheit eines naturverbun­ denen Daseins und die bewuBte Absonderung des Einzelnen in seiner Not aus der mitmenschlichen Gemeinschaft gezeigt, denn das MiBtrauen dieses Einzelnen ist groBer als das Bedlirfnis, von anderen Menschen getrostet zu werden. An dieser Stelle ist jedoch zu erwahnen, daB die Absage des Einzelnen, hier Jlirgen Doskocils, an die Menschen und ihre Zivilisation nicht nur aus freiem Willen geschieht, sondern aufgrund der Haltung der Men- Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 32 - schen ihm gegenuber •. Die Gemeinschaft wird hier negativ darge­ stellt, insofern sie den Einzelnen, der anders ist als sie, auf gemeine, rucksichtslose Art geradezu in die Absonderung drAngt. Denn daB Jurgen Doskocil anders ist als die Gemeinschaft der Dorfbewohner, wird immer wieder erwahnt. Sein AuBeres wird als groB, schwer und plump beschrieben. Seine sterbende Frau sagt zu ihm: .. wie ein Bar hast Du ausgesehen" (S.6). Es ist die Rede von seinen .. schweren IIAnden" (S.5), dem .. wilden Haar­ wuchs" (S.5) und davon, daB er ein .. graues und schweres Ge­ sicht" habe, das wie ein .. stein aus den Moorwaldern" aussehe (S.7). Die Kinder rufen ihm den Spottnamen .. Wassermann" nach (S.31). Neben seiner auffallenden Erscheinung sagt man ihm auch nach, daB er mit den Toten rede, und er selbst deutet an, daB ihm die Toten erscheinen (S.55). Wiechert lehnt in diesem Roman nicht nur den Menschen als Ge­ meinschaftswesen ab und verherrlicht den Einzelmenschen. Er zeigt, daB die Gemeinschaft nicht ohne diesen Einzelnen und seine Unterstutzung bestehen kann. Der Mensch als Individuum erst macht eine Ge~einschaft existenzfahig. In Die Magd des Jurgen DoskociZ fungiert der Fahrmann Jurgen Doskocil mit sei ­ ner Fahre als Verbindung zwischen den beid~n D6rfern. Beide Dorfgemeinschaften stoBen Jlirgen Doskocil zwar aus, weil er anders ist als sie und weil er ein Einzelgang3r ist, aber sie sind trotzdem auf ihn angewiesen. Er set~t sich fur das Wohl der Dorfgemeinschaften ein. Aus Mitleid mit den hungernden Kindern gibt er ihnen.zu essen, obwohl sie ihn vorher verspot- Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 33 - tet und mit Steinen nach ihm geworfen haben. Er fahrt eines Tages mit den Kindern in die nachste groBere Stadt, urn den Burgermeister urn Lebensmittel fur die Hungernden aus den bei­ den Dorfern zu bitten. Fur sich personlich erwartet er keinen Vorteil aus diesem Anliegen, sondern er tut es aus Wohlwollen fur die Gemeinschaft~ die in Not ist. Er setzt sich als Indivi­ duum fur die Gemeinschaft ein. Wiechert wertet den einzelgange­ rischen Menschen nicht nur aufgrund ~einer Naturverbundcnheit und seinem MiBtrauen allem Zivilisatorischen gegenuber auf, sondern auch, weil der Mensch als Individuum eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt. Mit dieser Auffassung widerspricht Wiechert der nationalsozialistischen Vorstellung, daE der Mensch als Individuum in der Gesellschaft keinen Platz habe. Wie eng Jurgen mit der Natur verbunden ist, wird auch daraus ersichtlich, daB er liberal! in der Natur das Lebendige sieht. Der Wald und die Tiere, selbst die kleinsten Kafer, sind fur ihn ernstzunehmendes Leben. Sein Acker lebt fur ihn schon von dem Augenblick an, wo er pflugt und sat. Der Acker bedeutet fur ihn Brot. Auch das Wasser ist ihm ein Zeichen des Lebens, denn der Fischfang ist Teil seines Lebensunterhaltes. Jurgen achtet nicht nur die Gesetze der Natur und fugt sich ihnen. Er findet in seiner Einsamkeit auch Trost in der Bestandigkeit der Natur, im Gegensatz zur Unbestandigkeit der Menschen: ...... die Menschen sind mir nicht gut, aber die Sonne kommt. Gras wachst und die Fische gehen in das Netz •••• " (S.27). Wieder werden die positiven Eigenschaften ausschlieBlich der Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 34 - Natur zugesprochen, und der Mensch steht irnmer irn Schatten der Natur. Wie wenig die Zivilisation Jlirgens allt!gliches Leben beein­ fluBt, zeigt sich daran, daB flir ihn Zeit irnmer an der Jahres­ zeit gernessen wird. Es ist zurn Beispiel Z€it zurn Pflligen, zurn S!en und zwa Ernten. Die Naturkatastrophen wie der groBe Regen, das Eis und sp!ter die Trockenheit versetzen ihrn einen groBeren Schlag als der HaB der Menschen, die ihrn sogar nach dern Leben trachten. Als die Menschen irn HaB sej.nen Hafer lange vor der Erntezeit schneiden, ernpfindet er das wie den Tod seines Kindes, das tot geboren wurde, als die Uberschwernmung karn. Flir ihn ist es furchtbar, "daB sie gem!ht hatten, bevor es Zeit war. ( .•. ) DaB sie den Hafer aus der Muttererde gerissen hatten, wie das Wasser sein Kind aus dem Mutterleib gerissen hatte. DaB sie nicht gestohlen, sondern gemordet.hatten" (S.163). DaB Jlirgen die Natur w!hrend Martes Haft als erl5sendes Elem~nt ansieht, zeigt sich deu.tlich amEnde des Romans. Hartes Mord an Mac Lean, der hier das Bose verkorpert, und ihre BuBe sind eine Voraussetzung flir das zuklinftige Gllick Jlirgens und seiner Fa­ rnilie. Dieses Gllick ist eng an die Natur gebunden, denn nachdem Jlirgen den Acker gepflligt hat, stellt er sich folgendes vor: nUnd er sieht ein Feld mit grlinen Halrnen, die gelb werden und sich unter Ahren neigen. Und er sieht ein Kind, das unter die­ sen Halmen ljegt und schl!ft, indes ein Mann und eirie Frau das Korn schneiden und binden und die Garben aufstellen" (S.222). Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 35 - Es ist bedeutungsvoll, daB Marte gerade zur Erntezeit aus der Haft entlassen werden soll. Ebenso wie der Kreislauf der Natur in der Ernte seine Vollendung erreicht, wird hier Martes BuBe als Vollendung eines Lebensabschnittes gesehen. Danach kann ein neuer beginnen. In diesem Vergleich, wie auch in dem Zu­ kunftsbild Jtirgens, wird die Natur als erlosendes Element dar­ gestellt. Das zuktinftige Gltick der von der Gemeinschaft iso­ lierten Einzelmenschen Jtirgen u~d Marte wird ausschlieBlich an die Natur gekoppelt. In diesem Zukunftsbild wird der Zivilisa­ tion und den Menschen, die dazu gehoren, kein Platz eingeraumt. AuBer dem Konflikt· des Einzel.menschen zwischen Natur und Zivi­ lisation bertihrt Wiechert hier das Thema der Beeinflussung der MCJ.ssen unter fa1schen Voraussetzungen. In diesem Roman spieJen der Mormonenglaube und sein EinfluB auf die einfac~en Dorfbe­ wohner eine wichtige Rolle. Oberflachlich konnte man meinen, Wiechert stimme in seiner Absage an diesen Glauben mit den Faschisten uberein; denn auch sie lehnen ihn ab. Bei genauerer Untersuchung erkennt man jedoch, daB es Wiechert nicht dar~~ geht, die Zugehorigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft zu ver­ dammen, soridern darum, Kritik an der Verftihrung und Beeinflus­ sung der Menschen zu tiben, die sich von der Verlockung des sichtbaren Glanzes, Jer ihnen vorgehalten wird, zu einer Ideo­ logie hinreiBen lassen, die ihre inneren Werte systematisch · zugunsten dieser Ideologie manipuliert. In diesem Sinne ent­ halt der Roman eine ganz klare antifaschistische Tendenz, denn Wiecherts Absage an d~n MormonenglauLen in diesem Roman ist Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 36 - als Absage an die den Menschen manipulierenden Ideologien zu verstehen und damit implizit auch als Absage an den Faschismus. Wiecherts Haltung zu diesem Thema wird in dem Gegensatz zwi­ schen den manipulierten Dorfbewohnern ~inerseits und Jtirgen Doskocil andererseits dargestellt. Der Mormonenprediger Mac Lean beeinfluBt und verftihrt die Dorfbewohner derart, daB sie ihm vollig horig werden. Wiecherts Kritik wird in der H~ltung Jtirgen Doskocils zum Ausdruck gebracht, dem dieser Glaube fremd und eine Bedrohung ist. Die erste Bertihrung Jtirgens mit den Mormonen findet statt, als Marte zu ihm ·ins Haus kommt. Das Fremde dieses Glaubens ist schon zu sptiren, wenn Jtirgen Marte "bed~tickt" fragt, ob dies ein Glaube sei (S.49). Erst als Mac Lean in das Dorf kommt und eine Gemeinde grtindet, wird der EinfluB dieses Glau­ bens immer starker, bis er die ganze Umgebung beherrscht. DaB der Mormonenprediger nicht einmal das Privatleben seiner Ge­ meindemitglieder, z.B. Martes, respektiert und ihnen bis ins Haus folgt, urn sie in ihrem Glauben zu best2rken, ist fur den skeptischen Jtirgen Doskocil Grund genug, Mac Lean das Haus zu verbieten. Er erklart Mac Lean sein Verhalten folgendermaBen: "Bei uns ist es so, Herr, daB jeder ~ensch zu seiner Kirche gehen darf, aber es ist nicht so bei uns, daB die Kirche zu jedem Menschen kommt" (S.78). Schon an dieser Stelle wird deutlich Kritik gelibt an jeglichem Versuch, den Menschen von einer Ideologie oder einem Glauben zu tiberzeugen. Auch an Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 37 - anderer Stelle wird dieser Zwang deutlich, namlich dort, wo Marte ihr Zusammenleben mit Jlirgen von Mac Lean bedroht sieht. Welche Macht Mac Lean als Stellvertreter seines Glaubens liber seine Gerneinde hat, zeigt sich vor allem in seiner Macht liber Marte, die zwar an seinen Gott glaubt, aber Angst vor der vel­ ligen Hingabe an den Glauben, besonders aber vor Mac Lean, hat. Daher ist sie zwischen Jlirgens Welt und de~ Mac Leans hin- und hergerissen. Als sich Marte vor ihrer Ehe mit Jlirgen Mac Lean sexuell nicht hingeben will, wie er es als Mormonenprediger von Madchen erwartet, droht er ihr, daB sie nie ein gesundes, normales Kind zur Welt bringen konne, da sein EinfluB liber sie zu groB sei, so gioB namlich, daB sie spater fest davon liber­ zeugt ist, sein Fluch sei schuld daran, daB ihr Kind tot gebo­ r~n wurde, obwohl sie zu dem Zeitpunkt bereits aus der Morm~­ nengemeinschaft ausgetreten war. Die einzige Erlos~ng aus die­ sem Bann scheint fur Marte die Ermordung Mac Leans zu sein. Wiechert stellt also dar, wie der Mensch sich fligen muB, urn einer Ideologie zu dienen. Sobald er sich den ideologischen Forderungen widersetzt, wird ein Zwang auf ihn ausgelibt, des­ sen Ziel es ist, ihn dieser Ideologie verfligbar zu machen. Darin liegf die antifaschistische Tendenz des Romans. Was. Wiechert hier deutlich kritisiert, ist die Manipulation der Massen, die einer Ideologie oder einem Gl&-~ben vollig horig gernacht werden, so daB ihr Handeln_beliebig gesteuert werden kann. Mac Lean nutzt die Situation, in der die Leute sich befinden, aus, urn sie zu seinem Glauben zu bekehren. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 38 - Wahrend sie hungern, weil der strenge Winter die Saat erfroren hat, verspricht er seinen Gemeindemitgliedern den Himmel auf Erden, wenn sie zur .. Goldenen Stadt" nach Amerika auswandern. Er prophezeit ihnen, daB Gottes Zorn liber diesem Lande aufstei ­ gen werde, daB Frauen und Erde unfruchtbar sein und Kinder ~nd Vieh sterben wlirden ... Aber ferne wartet die Goldene Stadt, und Gottes Hand ruht auf ihren Tlirmen. Korn wachst aus ihrer Erde, und Weintrauben bedecken ihre Hligel. Und Gott breitet die Arme aus, urn die Glaubigen aller Erde zu empfangen, die sich bekeh­ ren zu seinem wahren Wort" (S.81) .. Wie effektiv diese Werbung von Seiten Mac Leans ist, zeigt sich an der GreBe seiner Gemein­ de, die er bald urn sich versammelt hat. Es gelingt ihm rasch, seine Gemeinde beliebig zu manipulieren, als er z.B. die Leute gegen jene anderen aufstachelt, die ihm noch nicht horig geworden sind oder seinen Forderungen widerstehen wie Jlirgen und Marte. Zur Fastnacht erscheinen in der Fischerhlitte verkleidete Gestal­ ten, die Jlirgen und Marte darstellen und auf schamlose Weise mit Gesten ihr Verhaltnis zu einander andeuten. Jtirgen vermu­ tet, daB Mac Lean diesen Mummenschanz inszeniert hat. Ebenso erfahrt Jtirgen, nachdem man ihm beim Holzfallen den Axtstiel angesast hat, daB Ma.r: Lean Anweisungen gegeben habe, man solle Jlirgen Schaden zuftigen, denn er sei der Teufel, .. der auf dem Weg zur Goldenen Stadt liege und daB er Gott eine Seele ent­ reiBe, die Seele des Madchens, die er zur Unzucht gezwungen habe, damit sie ihm nicht mehr entgehe. Und daB Gott denen danken werde, die den Teufel austreiben,wtirden aus diesem Lan­ de" (S.99). Es wird deutlich, wie manipulierbar die Menschen Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 39 - geworden sind, denn selbst jene, die Jtirgen sonst nie etwas an­ getan hatten, tun dies nun in dem Glauben, er sei der Teufel. Mac Lean hat sie gezielt manipuliert, denn Jtirgen ist ihm ein Hindernis, da er nicht auf seine Versprechungen hereinfallt und weil er ihm den Weg zu Marte versperrt. Kritisiert wird hier also nicht nur die Beeinflussung und Aufhetzung der Massen, sondern auch die Tatsache, daB von e·inem Zwang ausgegangen wird. Wer sich nicht ftigen will, wire! gewaltsam bekehrt, und wer ein Hindernis auf dem Wege der Ideologie oder des Glaubens ist, wird ausgestoBen. In diesem Roman kdnnte anhand von mehreren Beispielen Wiecherts antifaschistische Haltung nachgewiesen werden. Wiechert operiert mit Ideen, die den faschistischen Idealen entgegenstehen. Er setzt sich implizit mit dem Faschismus auseinander- und stellt ihm ein humanistisches Weltbild gegentiber, in dem sich die menschliche Personlichkeit in Verbundenheit mit der Natur ent­ faltet. Der Roman kann meiner Meinung nach zu der Literatur der inneren Emigration gezahlt werden. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 40 - 2.2.2 Die Majorin Dieser Roman erschien 1934, und auch er wurde von faschisti- scher Seite positiv aufgenommen. Wiecherts dichterisches Kon- nen wird anerkannt, denn es liegt nach Peters darin, daB unt;- ben den auBeren Vorgangen ( .•• ) die innere Seite des Geschehens diesmal mit Verhaltenheit geschildert und der Kampf der Geflihle nur allegorisch angedeutet"S?) wird. Ein wichtiger Grund flir die positive Einstellung der Faschisten _sind zwei Themenkreise, die Wiechert hier berlihrt, namlich ... ~'1ichaels Rlickkehr zur , e\'7i ­ gen Ordnung' der Natur"SS) und die .. sittliche Kraft der mUtter­ lichen Frau" 89 ). Aber auch dieser Roman ist nur mit Vorbehalten in die Bestande der Volksblich~reien aufgenommen warden, denn hier wird ebenfalls Wiecherts .. immer wiederkehrendes Weltbild" gezeigt, das sich in dem Thema der .. Erlosung", .. das wieder mutterrecht.iich gef21.Bt ist, (der) Symbolik und (der) Schilde­ rring der groBen Waldnatur mit ihren Schonheiten und Schauern" 90 ) auBert. Die Frage, ob in diesem Roman antifaschistische Tendenzen zum Vorsch-=in treten, ist nicht so t:"infach zu beantworten wie be- ztiglich der Magd des Jurgen DoskociZ; denn - und das sagt auch Peters - dieser Roman birgt so viel Unausgesprochenes und ist voll .. von bedeutungshaften Allegorismen und Anspielungen" 91 ). In ihm wird ebenfalls das Thema des Einzelmenschen im Konflikt zwischen Ziv.ilisation und Natur dargestellt, aber hier tiber-- schattet dieses Thema nicht das ganze Geschehen. Der Einzelne, Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 41 - der heimgekehrte Soldat Michael, ist noch nicht mit der Natur verbunden und sieht sie auch noch nicht als erlosende Kraft in seinem inneren Konflikt. Noch steht er zwischen Natur und Zi­ vilisation. Er muB sich nach seinen Kriegserlebnissen erst wieder dem Leben in der "Freiheit" anpassen, und dieser Kon­ flikt wird am Ende dadurch gelost, daB Michael sich starker zur Natur hingezogen flihlt als zu der Welt der LandstraBen, die ihn wieder mit der Zivilisation in Berlihrung bringen konn­ te. Er kehrt namlich, nachdem.er den Wald verlassen hat, nach kurzer ~eit wieder in seine einsame Blockhlitte im Wald zurlick. Er findet langsam, mit Hilfe der Majorin, zu seinem Grund und Boden, den er geerbt hat, zurlisk. Seine Rlickkehr zum naturver­ bundenen Dasein erreicht ihren Hohepunkt, wenn er am Ende zu­ sammen mit der Majorin den Roggen ;~aht, nachdem er mehr als zwanzig Jahre keine Sense mehr in der Hand gehabt hat. Indem Wiechert seinen Helden Michael sich aus der Zivilisation zu­ rlickziehen und nach seinem inneren Kampf Befriedigung in sei­ nem einsamen, naturverbundenen Dasein finden laBt, wertet er den isolierten Einzelmenschen fernab der Zivilisation auf. Auch die Majorin gehort zu den naturverbundenen Menschen. Sie wird dargestellt als Herrin, deren Leben sich urn ihren Besitz dreht, ihre Walder, Acker, Tiere und die Menschen, die zu dic­ sem Dasein gehoren. A~ch sie steht in einem Konflikt mit der Zivilisation, die hier verkorpert wird durch ihren Sohn, der aus dem Rahmen ihres Daseins herausfallt. Er ist ein Mensch, der an das hektische Leben der Stadt gewohnt ist und dem die Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 42 - Stille auf dem Lande nicht zusagt. Schon auBerlich paBt er nicht in die Welt seiner Mutter. Es ist die Rede von seinem .. roten Wagen" (S .152), seinen .. fliederfarbenen Handschuhen 11 (S.149), einem nquakenden Grarnrnophon" (S.148), seinem nWhisky-. glas" (S.148), seiner nDame mit dem gelben Haar" (S.148) und seiner Meinung, daB er Maler werden mlisse. Seine Lebensein­ stellung unterscheidet sich stark von der seiner Mutter, der die Haltung ihres Sohnes zuwider ist und die ihn auch wahrend seines Besuches bei ihr bittet, wieder abzureisen, da man vor der Ernte noch eine nWeile ganz still ist, die Menschen und die Tiere" (8.148). Er.paBt mit seinem Grarnrnophon und seinem Wagen nicht in ihre Umgebung. Das Schlechte der Zivilisation wird hier in dem miBratenen Sohn dargestellt und deutlich ab­ gewertet - im Gegensatz zur Darstellung der Majorin, die mic ihrer Lebenseinstellung und ihrem naturverbundenen Dasein das Positive des isolierten Einzelmenschen verkorpert. Ihre Wege kreuz.en si eh zwar mi t denen von Jonas und Michael, und sie beeinflussen einander; doch jeder von ihnen bleibt in sein eigenes Schicksal verstrickt, das ihm Grenzen setzt, liber die er nicht hinaus kann. Jeder von ihnen lebt naturverbunden fernab der Zivilisation. Das Negative der Zivilisation wird auBer an dem Sohn der Majo­ rin auch an ihren Bekannten, die bei ihr zurn 'l.ee sind, darge­ stellt. Sie unterscheiden sich schon auBerlich von Michael, weil sie sehr gut gekleidet sind, und auch ihr Verhalten ihm gegenliber zeugt von einer Uberheblichkeit und Taktlosigkeit, Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 43 - die ihm zu verstehen geben, daB er mit seinen Umgangsformen und seiner merkwlirdigen Art nicht in ihre Gesellschaft paBt. Ihr Verhalten wird von der Majorin geradezu als unmenschlich angesehen; denn sie sagt zu ihnen, daB "heute noch wie frliher . jeder heimatlose Mensch verloren ist, der an Eure Tlir klopfen wurde, ohne Attest ur.d ohne Umgangsformen. Und das tut mir leid flir Euch und flir die Heimatlosen" (S.82). Hier wird, ge- nau wie in Die Magd des Jurgen DoskociZ, der in der zivilisier­ ten Welt aufgehende Mensch verurteilt, weil er den Einzelnen, der anders ist als er, nicht akzeptiert. Die Erkenntnis der Majorin, daB Michael r~cht habe, wenn er meint, "daB man allein leben mtisse, urn sich in Frieden zu bewahren" (S.84), steht rl.ie­ sem Bild des Menschen in der Zivilisation gegenliber. Aller- dings zeigt Wiechert auch, daB der isoliert lebende Einzelne sich dauernd nach einer Beziehung zum anderen Menschen sehnt, denn nur im Kontakt zu anderen, die jedoch der Natur naherste­ hen ~ls der Zivilisation, laBt sich der innere Konflikt losen und Frieden finden. Was dagegen mit einem Menschen in der to­ talen Isolation geschehen kann, zeigt Wiechert am Beispiel des al ten Waldbauern. D•=r al te. Mann findet keinen Frieden und wird wahnsinnig. Er hat sich zwar damit abgefunden, daB Michael und seine beiden anderen Sohne tot sind, aber a 1_s Michael zurlick­ kommt und der alte Mann damit konfrontiert wird, daB einer sei­ ner Sohne lebt, droht seine "mi.ihsam gerettete v~elt", die "an einem Faden hangt" (S.43), zu zerbrechen. Sein Kontakt zu Michael ist der eines Lebenden zu einem Toten, der ihm erscheint. Er kann seinen Sohn nicht als Lebendcn akzeptieren, und daran Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 44 - . zerbrich t er. In diesem Roman vertritt Wiechert die Auffassung, daB der Kon­ flikt des Menschen zwischen Natur und Zivilisation nur gelost . werden kann, wenn der Mensch sich aus der Zivilisation zurlick­ zieht und ein naturverbundenes Dasein sucht. Wie schon in der Besprechung von Die Magd des Jurgen DoskociZ genannt wurde, ware eine Naturverbundenheit, die die .,Blut-und-Boden"-Ideol,o­ gie untersttitzt, den Faschisten akzeptabel. Da der Roman nach Meinung der Faschisten diese Ideologie unterstlitzt, ist er auch von Peters und anderen Kritikern der nationalsozialisti ­ schen Zeit92 ) positiv eingeschatzt worden. Der Einzelmensch bei Wiechert wendet sich aber immer der Natur zu und kehrt der Zivilisation, die fur Wiechert das Negative darstellt, den Rticken. Zur Zivilisation ist hier z.B. die Btirokratie zu rech- nen, mit der Michael konfrontiert wird. Was Wiechert kriti ­ sier~, ist, daB Michaels innerer Konflikt dadurch gelost wer­ den soll, daB von amtlicher Seite her .. mit vielen blauen Stem­ peln bescheinigt" (S.55) wird, daB er wieder leben darf. Nicht durch den Eintritt in die verbtirokratisierte Zivilisation lost Michael seinen Konflikt, sondern durch seinen Rlickzug in ein naturverbundenes Leben. Diese Weigerung des Einzelnen, am Ge­ meinschaftsleben teilzunehmen, wird von Peters zu Recht als antifaschistisch gesehen. Er sagt folgendes zu diesem Thema: .. Empfindet er (Wiechert) aber schon gepragt geistige Formen von Ethos, Sitte, Weltanschauung als drlickend, so erst recht jede auBere und staatliche Organisation. Er kann nur ihre Ge- Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 45 - waltnatur gegenliber dem Einzelnen sehen, nicht aber ihre Notwen­ digkeit. Die Tragik jeder straffen Gemeinschaftsform kann er von seinem Standpunkt aus nicht begreifen." 93 ) Fur die Natio­ nalsozialisten durfte jemand, der sich nicht durch Einordnung in die Herdentiermentalitat gleichschalten lassen wollte, nicht als Held dargestellt werden. Die antifaschistische Haltung Wie­ cherts drlickt sich darin auz, daB er in diesem Roman gerade so einen Einzelganger zum Helden des Buches macht. Wiechert setzt si eh in diesem Roman, wie schon in einigen Friih­ werken, mit dem Krieg und dem EinfluB des Krieges auf den Men­ schen auseinander. In den Kritiken der Nazizei~ zu diesem Roman wird Wiecherts Haltung dem Kriegserlebnis gegenliber kritisiert; denn .. eins fehlt in diesem Buch vo~lkornrnen: das positive Erleb­ nis des Krieges, die liber allem Grauen sieghafte Kraft der Men­ schenseele, die liber aller Zerstorung leuchtende Auferstehungs­ macht des Volkes ... nicht der Mann, der den Krieg innerlich gemeistert hat, sondern der, der ihn vergessen mochte, steht am Ende." 94 > Genau so stellt Wiechert in diesem Roman den heimge­ kehrten Soldaten Michael dar. Er kehrt,als gebrochener Mann zu­ rlick und mochte den Krieg und seine Folgen vergessen. Flir ihn ist der Krieg eine Holle, .. und diese Holle ist ein Werk des Men­ schen" (8.47). Er empfindet es als teuflisch, daB r.tenschen jahre­ lang durch den Krieg gequalt werden, und .. wer das gesehen habe ( ••• ) der konne nicht mehr leben, wie die anderen lebten in Ordnung und Zucht und Gesetz, sondern der mlisse schreien konnen, wenn es ihn ankornrne, allein in einem weiten Raum, daB die Kinder Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 46 - sich nicht erschreckten, und musse laufen konnen, wenn es ihn ankomme, querfeldein, ohne Grenzen. Und mitunter, ja, mitunter musse er trinken, wenn er bestimmte Dinge vergessen wolle, die einmal geschehen seien zwischen Mensch und Mensch" (S.48). In dieser Haltung Michaels zeigt sich Wiecherts antifaschistische Einstellung, die den _Krieg nicht,- wie die Faschisten, verherr­ licht. Der Mensch, der mit dem Krieg konfrontiert wird, leidet unter den Folgen. An keiner Stt:lle wird hier etwas Positives uber den Krieg gesagt. Die Tatsache, daB der Held des Romans als .. Leidgezeichneter" 95 ) dargestellt wird, der leidet, weil er den Krieg nicht ertragen kann, ist fur die Faschisten Grund zur Kritik. Peters sa~t dazu: .. Die Helden, die fast ausnahreolos aus dunklen Urgrunden und aus dem Niederbruch des Lebens aufstei ­ gen, sind alle mehr oder weniger 1 Leidgezeichnete 1 , wie Wicchert es selbst einmal sagt, und dieses Leid ist nicht tJ .. -agisches, d.h. erschutterndes aber doch noch sinnvoll begreifliches, son­ dern sinnloses Leiden." 96 ) Da es fur die Faschisten kein sinn- loses Leiden geben darf, muBte dem Leiden Hichaels, wenn er in ihrem Sinne ein positiver Held sein sollte, ein sinnvoller Zweck unterschoben werden. Michael muBte z.B. fur .. Volk und Vaterland" leiden. DaB er das nicht tut~ im faschistischen Sin- ne also kein .. heldischer" Mensch ist und keine .. heroische Tat" vollbringt, wird Wiechert von den Faschisten vorgeworfen. Inso- fern steckt auch in dem .. sinnlosen Leiden" einB antifaschistische Tendenz. In diesem Roman konnte ebenfalls anh~nd von mehreren Beispielen Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za ,.----~~~~~~~--~-- --- -- - 47 - eine antifaschistische Haltung Wiecherts herausgearbeitet wer­ den. Da dieser Roman so viel Unausgesprochenes birgt, ist die Haltung Wiecherts nicht so deutlich, wie z.B~ in Die Magd des Jurgen DoskociZ. Es wird jedoch klar, daB Wiechert sich wieder implizit mit dem Faschismus auseinandersetzt. Auch in diesem Roman stellt er ihm ein hurnanistisches Weltbi~d gegenliber, in dem der Mensch seine Personlichkeit in Verbundenheit mit der Natur voll entfalten kann. Dieser Roman ist meiner Meinung nach auch zu der Literatur der inneren Emigration zu zahlen. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 48 - 2.2.3 Hirtennovelle Diese Novelle wurde bei ihrem Erscheinen 1935 als der Hohepunkt von Wiecherts Schaffen angesehen, und die Kritik, die ihr zu- . teil wurde, war fast ausnahmslos positiv. In der Darstellung des Hirten Michael entspricht Wicchert dies­ mal der faschistischen Vorstellung des heldischen Menschen, der auf heroische Weise flir nVaterland, Thron und Altar" 97 ) stirbt; daher auch die positive Kritik von Seiten der Nationalsoziali ­ sten. Peters bemerkt zu dieser Novelle, daB ntrotz der Anknlip­ fung an die zeitgeschichtlichen Ereignisse ( •.• ) Wiechert diese Gestalt in~ Zeitlose" 98 ) hebt. In dieser Novelle werden wieder die Bereiche der Natur und der Zivilisation einander gegen~bergestellt. Aber im Gegensatz zu den oben vorgestellten Romanen erlebt der Einzelmensch hier - von einer kurzen Beg~benhe~t abgesehen - keinen Konflikt zwischen Natur und Zivilisation, der nur gelost werden kann, wenn er sich flir das eine oder das andere entscheidet. Der Hirte Michael ist von Anfang an eng mit der Natur verbunden und bleibt es auch bis zu seinem Tode. Wiechert stellt ihn als Individualisten dar, der auch in seiner Berlihrung mit der Zivilisation immer ein Ein­ zelner bleibt, der anders denkt als z.B. sein~ Schulkameraden. In der Schule legt er die Geschichte von David und Goliath aus der Sicht eines naturverbundenen Mcnschen a11s, der den Sieg Davids liber Goliath auf die Beschaffenheit der Schleuder und Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 49 - auf die Kunst des Zielens zurlickflihrt. Seinen Schulkameraden geht es bei dieser Geschichte jedoch urn den .. Geist Gottes" (S.17). Michaels Verbindung zur Zivilisation, z.B. der Schule, wird als Notwendigkeit dargestellt, die jedoch etwas Bedrlicken- des an sich hat. Michaels Rlickkehr zur Natur und dem Gansehliten nach dem Winter wird immer als etwas Befreiendes gesehen: Er .. erhob sich mit den ersten Frlihlingswinden aus dem trliben Kreis von Herdrauch, Legenden, Schulweisheit, Hunger und Verlorenheit zu der Weite und Freiheit tatigen Lebens, etwas magerer, etwas blasser als zuvor, aber mit wachsender Sicherheit ••• " (S.19). Es ist deutlich, daB Wiechert hier, wie auch in seinen anderen Werken, diese Naturverbundenheit des Einzelnen besonders hervor­ hebt. Das geht vor allem aus dem Bild Michaels als Hirte der gesamten Dorfherde hervor. Er geht v6llig auf in aiesem Amt, das ihm anvertraut wurde, als er zw6lf Jahre alt war~ Michael kommt trotzdem noch regelmaBig mit der Zivilisation in Berlihrung, indem er den Kontakt zu seinen Schulkameraden be­ wahrt, die inzwischen die hohere Schule besuchen. Wieder wird hier jedoch das Befremdende der Zivilisation ftir den Naturver­ bundenen hervorgehoben. Die Freunde erzahlen von ihren Schuler­ lebnissen, wahrena sie Michael jedoch andererseits urn sein na­ turverbundenes Leben beneiden. Wiechert laBt in dieser Novelle im Gegensatz zu seincn anderen Werken die Zivilisation neben der Naturverbundenheit gelten, auch wenn er die Zivilisation nicht verherrlicht. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 50 - Der bei Wiechert immer wiederkehrende Konflikt des Einzelnen zwischen Natur und Zivilisation tritt in dieser Novelle nur einmal deutlich zum Vorschein. Beim Erscheinen der Malerin aus der Stadt wird Michael gegen seinen Willen mit der Zivili ­ sation konfrontiert und geradezu von ihr liberrumpelt. Die Hal­ tung der Malerin Michael gegentiber verwirrt ihn zunachst, aber als er sieht, daB sie mit ihrem Aktgemalde uauf scharnlose Wei­ se (von seinem Korper) Besitz ( .•• ) ergriffen hatte, ehe er bereit dazu gewesen war" (S.69f.), ist er besttirzt und wtitend und zieht sich wie ein Verwundeter in die Natur zurtick. Michael wird von der Frau aus der Stadt, d.h. von der Zivilisation, erniedrigt. Trotzdem sieht Wiechert diese Vertreterin der Ziv~­ lisation nicht, wie er es vorher getan hat, grundsatzlich als schlecht und negativ an. Er stellt sie dar, als sei ihre Denk­ und Handlungsweise gepragt durch ihr_Leben, das wiederum nicht in die Umgebung dieses Dorfes und seiner Einwohner paBt. Es ist klar, daB Wiechert hier die Zivilisation kritisiert, aber er tut es indirekt, indem er das Handeln der Malerin als Konse­ quenz der Zivilisation ansieht - ihr Auftreten ~lso gewisser­ maBen entschuldigt. Es mag zunachst so aussehen, als ob Wiechert hier seine frtihere Auffassung in bezug auf den Konflikt des Ein­ zelnen zwischen Z]vilisation und Natur revidiert hat, aber es wird deutlich, daB er seine Meinung lediglich verhaltener zum Ausdruck bringt. Michael ist nicht r.ur ein Einzelner, sondern auch ein AuBensei­ ter der Gemeinschaft. Zwar wird er als Hirte von der Gemeinschaft Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 51 - auBerordentlich geschatzt, aber er wird nie als Teil der Gernein­ schaft anerkannt. Seine ehernaligen Schulfreunde verbringen zwar ihre Freizeit rnit ihrn zusarnrnen in der Natur, aber sie wlirden ihn nicht zu sich nach Hause einladen, weil er nicht in den ge­ sellschaftlichen Rahrnen ihrer Elternhauser paBt. Wiechert libt hier Kritik an der Handlungsweise des zivilisatorischen Menschen, der denjenigen, der anders ist als er, irnrner einen AuBenseiter sein laBt. Michael kornrnt nach einern Gesprach rnit seinen Karnera­ den liber die Schule selbst zu der SchluBfolgerung: .. Es rnuB wohl Professoren geben, aber es rnuB wohl auch Hirten geben, und es rnliBte traurig auf einer Erde sein, die keine Hirten rnehr braucht ••. " (S.42). Der Einzelne, hie~ Michael, ist s~ch also durchaus seiner Position als AuBenseiter bewuBt. Er akzeptiert diese Si~ tuation jedoch und befindet sich nicht in eine~ Ko~flikt, weil ihrn seine Tatigkeit in Ve~bundenheit rnit der Natur notwendiger ist, als ein an die Zivilisation gebundenes Leben. Wiecherts Auffassung von der Zivilisation und der Natur wird wieder deut­ lich. Er verherrlicht, wie auch in Die Magd des Jurgen Doskocil und Die Majorin die Naturverbundenheit und den Individualisrnus des Einzelnen. Wiechert geht hier wieder auf das Therna ein, daB die Gerneinschaft ohne den Einzelnen nicht existenzfahig ist. Das ergibt sich aus der Bedeutung, die d6~t Hirtenarnt zugesprochen wird. Die Herde ist fur das arrnliche Dorf lebensnotwendig. Der Hirte hat also ein ernstzunehrnendes Arnt, denn als Einzelner tragt er die Ver­ antwortung fur die Herde und tragt sornit zurn Wohl der Gernein- Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 52 - schaft ,bei. Diese Verherrlichung des Einzelnen wird besonders deutlich in der Zeremonie, bei der Michael sein neues Amt feierlich libergeben wird. Der Dorfschulze 11 hatte angeordnet, daB zur Ubertragung des alten Amtes auf den jungen Hirten die ganze Herde auf dem Schulzenhof versammelt werde, damit er so das Lehnsamt vor den Augen des Volkes ·auf die Schultern seines jUngsten Vasallen legen k6nnte" (5.20). Das Vertrauen der Ge­ meinschaft in den Einzelnen wird durch diese Zeremonie bekraf­ tigt. Es ist bedeutend, daB diese groBe Verantwortung auf die Schultern eines Kindes gelegt wird. Hierdurch wird die Bedeu­ tung des Einzelnen hervorgehoben, der eine wichtige Rolle im Gemeinschaftsleben spielen kanl1, auch v1enn er noch so unschein­ bar wirken mag. Wiechert widerspricht hier abermals der faschi­ stischen Idee, daB der Individualibt in der Gemeinschaft kei­ nen Platz hat. Indem Wiechert seinen Helden nicht nur Indivi­ dualist sondern obendrein ein unscheinbar wirkendes Kind sein laBt und ihm eine so wichtige Rolle im Geschehen zukommen laBt, zeigt er meiner Meinung nach eindeutig eine antifaschi­ stische Tendenz. Die Rolle des Einzelnen, der fur das Wohl der Gemeinschaft eintritt, wird wei~erhin in Michaels Einsatz gezeigt, als er das Dorf vor einem Einfall der Kosaken rettet. Er versteckt die Einwohner und die ganze Herde an einem verborgenen Platz im Wald. Als ihnen aber ein Lamm entlauft und dadurch das Versteck den sich nahernden Kosaken verraten werden k6nnte, versucht Michael, das Lamm zurlickzubringen. Die Kosaken sind Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 53 - schneller als er, und als er sich weigert, ihnen das Lamm zu Ubergeben, stirbt er durch einen Lanzenstich. Das Versteck wird jedoch nicht gefunden. Durch seinen Einsatz, den er mit dem Leben bezahlt, rettet Michael die gesamte Dorfgemeinschaft. Es ist wichtig, daB er aus einer Position der Naturverbunden­ heit in der Lage ist, ein geeignetes Versteck fUr die Dorfge­ meinschaft zu finden und deren Existenz zu sichern. Die Faschi­ sten sahen hier natUrlich in erster Linie Michaels herolsche Tat und seinen Heldentod fUr die Gemeinschaft als das Wichtig­ ste an. Daher auch die positive Kritik von nationalsozialisti ­ scher Seite. Betrachtet man .jedoch die Situation, die zu · Michaels Tod flihrt, unJ Wiecherts Darstellung der Kosaken ge­ nauer, konnte man ein ganz anderes Bild bekommen, das der fa­ schistischen Auffassuns Uber Michaels Tod entgegensteht. Wiechert stellt die Kosaken als etwas Fremdes und Bedrohliches mit .. Lanzen und Sabel Uber fremdem, braunem Kleid" (S.83) dar. D~rch ihre Machtposition sind sie in der Lage, die Kapitula­ tion des Einzelnen, Schwacheren zu erzwingen, und sie liben diese Macht aus, wenn der Schwachere sich ihren Forderungen widersetzt. Michael kapituliert als Einzelner nicht vor diesen Forderungen der Fremden, die wie Barbaren in seine Kultur ein­ dringen. Er lehnt sich dagegen auf und zieht die Konsequenz aus dieser Opposition. Er wird getot2t. Indem Wiechert den Hir­ ten Michael durch sein Verhalten zum Retter der Gemeinschaft werden laBt, betont er wieder die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft. Diesmal handelt es sich vor allem urn die Rolle des Einzelnen in einer Notsituation, in der der Starkere einen Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 54 - Zwang auf den Schwacheren auslibt, urn ihn sich verfligbar zu machen. Wiecherts negative Haitung gegenliber den Kosaken kann verstanden werden als Absage an jegliche Form des Zwangs und der Gewalt und ist damit auch eine Absage an den Faschismus. Es ist sicher kein Zufall, daB Wiechert die Kleidung der Kosa- ken braun sein l~Bt wie die Farbe des Nationalsozialismus. Die Faschisten werden hier also mit einer fremden Macht verglichen, die die Gemeinschaft bedroht. Aus diesem Vergleich spricht eine antifaschistische Haltung Wiecherts, die ebenfalls zum Ausdruck gebracht wird, wenn er das Auftreten Michaels verherrlicht, der nicht vor dem Zwang der Kosaken kapituliert. In dieser Verherr- lichung Michaels steckt eine Aufforderung an den Leser, sich so wie Michael zu verhalten und sich nicht widerstandslos der Ideo- logie des bestehenden Herrschaftssystems zu unterwerfen. Berlicksichtigt man den Zeitpunkt, zu dem diese Novelle erschie- nen i.st, sieht man, daB Wiechert bereits offen Kritik am natio- nalsozialistischen System gelibt hatte. Er hatte sich als Ein- zelner dem System entgegengestellt. Hier sei vor allem an seine . Reden an der Mlincht1er Uni versi tat erinnert. In der F~gur Mi- chaels sieht Wiechert dann seine eigene Rolle in der Gesell- schaft zur Zeit des faschistischen Regimes. Er versucht di~ G~- sellschaft ~or der faschistischen Herrschaft zu schlitzen, in- dem er sie liber die Zwange, die solch ein System mit sich bringt, aufklart, so daB sie dem System ~ritischer gegenliber werden konnen. DaB er mit dieser Haltung selber ein Opfer des Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 55 - Faschismus werden kann, wird in dieser Novelle auch impliziert. In dieser Novelle findet man einige profaschistische Gedanken, die auch zur Folge hatten, daB sie von den Faschisten positiv aufgenommen wurde. Hinter diesen profaschistischen Zligen ver­ bergen sich jedoch eindeutig regimefeindliche Ideen Wiecherts, die er kunstvoll verkleidet hat. Er libt Kritik am Faschismus, indem er ihn als Macht darstellt, die den Menschen bedroht. Diesem Bild vom Faschismus stellt er wieder ein humanistisches ' Menschenbild entgegen, in dem der Einzelmensch eine wichtige Roile spielt in der Bekampfung dieser bedrohlichen Macht. Hieraus spricht eine offensich~lic~e antifaschistische Haltung Wiecherts und die Novelle kann daher auch zur Literatur der inneren Emigration gezahlt werden. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 56 - 2.2.4 Das einfache Leben Nach der liberwiegend positiven Kritik, die Wiecherts Werken der dreiBiger Jallre zuteil wurde, war die Reaktion der Natio- nalsozialisten auf den Roman Das e::nfache Leben, der 1939 er- schien, negativ. Ihre Hoffnung, daB Wiechert die "positive Richtung", die er eingeschlagen hatte, weiterflihren wlirde, wurde mit dem Erscheinen dieses Romans nicht nim Formalen und . 99) Dichterischen, wohl aber im Inhaltlichen und Ideellen" entt~uscht. Peters meinte, daB man sich ~inhaltlich ( ... ) in die Gedankenkreise des frliheren problematischen Schaffenskrei­ ses zurlickversetzt" 100 ) finde. Sein Urteil als nationajsoz:.a- listischer Kritiker Wiecherts ist nach diesem Roman folgendes: nEs scheint, daB wir nach diesem Werk die gute Hoffnung, mit der wir die librigen jlingeren Werke Wiecherts begrliBen konnten, aufgeben mlissen. " 101 ) Wiechert offenbart in diesem Roman Tendenzen, die von den Na- tionalsozialisten mit Nachdruck abgelehnt wurden, und die Vermutung, daB er hier eine antifaschistische Haltung aus- drlickt, liegt nahe. Wo Wiechert in frliheren Werken, wie z.B. Die Magd des JUrgen DoskociZ~ Die Majorin und Die HirtennoveZ- Ze antifaschistische Tendenzen oft nur angedeutet hat, sind sie in diesem Roman oft unmiBverstandlich erY.ennbar. Arnold Bergstraesser meinte, daB dieser Roman Wiecherts neinen ein- deutig politischen Sinn in einem Staat erhaJten (muBte), des- sen Machthaber Anspruch auf den Menschen bis in die letzte Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 57 - zugangliche Phase seines Lebens erhoben." 102 > Der Hauptcharakter Thomas von Orla, Kapitan a.D., ist- und das ist, wie gezeigt wurde, typisch flir Wiechert - ein Einzel­ ganger, der sich nach dem Krieg nicht mehr dem Leben der zwan­ ziger Jahre anpassen kann und sich bewuBt aus der Gesellschaft zurlickzieht. Orla ist in einen Konflikt mit dem zivilisierten Leben geraten, und wahrend z.B. seine Frau sich in allen Krei­ sen der Gesellschaft bewegt und das hektische Leben genieBt, ist Orla der Meinung, daB .. wir alle ( ..• ) mehr verloren (haben) als eine Schlacht" (S.12). Er hat keinen Anteil mehr am Leben seiner Zeitgenossen, denn dieses Lqben ist flir ihn sinnlos ge­ worden. AuBer einer Schlacht hat er auch den Sinn seines Da­ seins verloren. Zu dieser Erkenntm.s kommt er gerade dann, als ihm ein Bibelwort in die Hande fallt: .. Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwatz". Er sucht einen Ausweg aus diesem sinnlosen Dahinleben in der Zivilisation, der in die Abge­ schiedenheit der Walder und Seen ftihrt, wo er als Fischer in den Dienst eines Gutsherrn tritt und allein, ohne Frau und Kind, auf einer Insel wohnt. Hier, in der Natur und bei der korperlichen Arbeit, versucht Thomas, wieder einen Sinn im Leben zu finden. D•=r Held in diesem Roman zieht sich also wie die Helden in den frtiheren Romanen in die Natur zurtick, doch nicht mit der gleichen Konsequenz; denn im Gegensatz zu den Helden in Die Magd des JUrgen DoskociZ und Die Majorin bricht er den Kontakt zur Zivilisation nicht vollig ab. Er flihrt noch immer cin kultiviertes Leben und gibt sich auch zeitweise Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 58 - ganz der geistigen Arbeit hin. Dieser RUckzug Thomas' aus der Gesellschaft in die Abgeschiedenheit seiner Insel ist fUr die Faschisten schon Grund genug zur Kritik. Seine Auffassung, nur in der Abgeschiedenheit der Walder und Seen bei harter Arbeit vielleicht einen neuen Sinn seines Daseins zu finden, kann vom Faschismus nicht gutgeheiBen werden. Thomas ist imrner · betont Individualist, der nur auf sich selbst gestellt ist u~d der in seiner Handlungsweise imrner sein personliches Ziel vor Augen sieht, namlich den Sinn des Daseins zu finden. In der Zeit des Nationalsozialismus, in der dem Einzelganger inner­ halb der Gesellschaft kein Platz eingeraumt wurde, sondern nur dem Gruppenwesen und Mitlaufer in der Masse, konnte eine R0man­ figur wie die Thomas von Orlas nur abgelehnt werden. Er ver­ korpert genau das Gegenteil von dem, was der Faschismus vont Menschen erwartet, namlich die Leugnung der eigenen Individua­ litat zugunsten dessen, was Partei und Staat fUr das Wohl der Ges~tgesellschaft halten. DaB Wiechert in diesem Roman die Individualitat des Helden der­ art betont, ist dafaus erklarlich, daB er kurz vorher im KZ ge­ wesen.war und die Erfahrung gemacht hatte, daB das Individuum liberhaupt nicht mehr existierte, sondern daB der Mensch nur noch eine Nummer innerhalb des Systems war. In seinem Buch Der Totenwald, in dem er aus der Zeit im KZ berici.tet, schreibt Wiechert: .. Sie empfingen Nummern und rote Tuchdreiecke, die auf Rock und Hose angenaht wurden. Johanries hatte die Nummer 7180. Die rote Farbe bedeutete politische Gefangene. Sie waren Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 59 - nun alle wie die anderen" (S.85). Darin daB Thomas von Orla nicht so sein will wie andere, daB er meint, nur als einzel­ gangerisches Individuum seinen Lebenssinn verwirklichen zu konnen, liegt die antifaschistische Tendenz dieses Romans. AuBer dem Romanhelden Orla stellt Wiechert noch einige andere Charaktere dieser Inselwelt dar, die alle Einzelganger und ge­ sellschaftliche AuBenseiter sind. Der alte General lebt zurlick­ gezogen auf seinem Gut in den Waldern. Er will nicht mit der neuen Zeit Schritt halten und hangt noch seinen Ideen liber das PreuBentum nach. Marianne, s.eine Enkelin, ist ebenfalls eine Einzelgangerin. Sie ha~ ihr ganzes Leben in der Abgeschlossen­ heit der Walder und Seen zugebracht, und nachdem sie zwei Jahre in der Stact gelebt hat, zieht sie sich ganz bewuBt aus dem zivilisierten Leben in ihre vertraute Umgebung zurtick, weil ihr nur dort das Leben lebenswert erscheint. Auch der junge Graf Pernein gehort zu diesen AuBenseitern. Ihn bedrlickt das Leben dermaBen, daB er es ftir sinnlos halt. Er lebt alleln in seinem SchloB, und das einzig Wertvolle ist ftir ihn die Musik. Die Frau des Forsters ist schon durch ihre Geistesgestortheit eine AuBenseiterin. Sie kann den Tod ihres Sohnes nicht verwinden und verschlieBt sich in ihre eigene Welt der Erinnerungen, un­ fahig mit der AuBenwelt zu kommunizieren. Wiechert stellt alle diese Charaktere positiv dar, oder versucht ihre Eigenarten zu rechtfertigen, indem er auf dere.n Ursachen hinv1eist, z .B. das Leid der Forstersfrau, nach dem Tode ihres Sohnes, welches ihre Geistesgestortheit mit sich bringt. Die Faschisten konnen Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 60 - diese Charaktere nicht positiv bewerten, da sie, wie im Falle Thomas von Orlas, zu betont Individualisten und Einzelganger auBerhalb der Gesellschaft sind. In einer faschistischen Kri- tik heiBt es: "Alle Gestalten Wiecherts sind von Gedanken' liberlastet, innerlich zergrlibelt und von schwerem Leid ge- qualt. ( ••• ) Sie sind und bleiben Abseitige ihr Leben lang. ( ••. ) Es ist keine Welt einer gesunden Innerlichkeit, die man bejahen kann, sondern eine Welt mit so vielen direkt krankhaft anmutenden Zligen, daB man sie nur mit Nachdruck ablehnen kann. " 10J) In der D t 11 d' N b f' . R ars e ung 1eser e en 1guren 1m oman auBert sich daher auch eine antifaschistische Tendenz. In der Gestalt Joachims, Orlas Sohn, schafft Wiechert einen Charakter, der genau das Gegenteil von Orla ist. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Charakteren wird immer deutlicher, je alter Joachim wird. Als der Junge klein ist, meint er noch: "Du bist der klligste Mann auf dieser Erde, Vater" (S.13). Schon als Kind ist· flir ihn alles, was er t~t, ein Mittel zum Zweck. Er ist ehrgeizig und hat nur seine Karriere als Ge- schwaderchef vor Augen. Er ist immer aktiv und begierig, etwas zu lernen und sein Wissen zu erweitern im Hinblick auf seine Zukunft. Das Leben seines Vaters auf der Insel betrachtet er aus einer anderen Perspektive als dieser und nimmt es nicht so ernst wie sein Vater. DaB ein einfaches Leben in der Abgeschie- denheit einen Sinn haben kann, versteht er nicht. Flir ihn ist der Wandel seines Vaters vom Korvette~kapitan zum Fischer pein- lich. Er ist so selbstsicher, daB er meint, er konne in seiner Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 61 - Laufbahn sehr bald Geschwaderchef werden. Thomas auBert sich Joachirn gegenuber wie folgt zurn Ehrgeiz der Jugend: .. Ich bin Korvettenkapitan gewesen, ihr wollt Geschwaderchef werden. Wir haben Fehler gernacht, nicht nur rnit Sachen, sondern auch rnit Menschen. Ihr wollt keine Fehler rnachen, und wenn Sachen und Menschen widerstreben, wollt ihr trotzdern gewinnen. Ihr habt noch nicht vorn Kriege gelernt. Ihr seht noch nicht, daB er rnehr war, als eine Folge von Schlachten. ( ••• } Ihr glaubt uns nicht, weil ihr zuviel an euch glaubt, und ein Seernann muB an rnehr glauben, als sich selbst, Joachirn" (S.249f.}. Je weiter Joachim es spater in der Marine bringt, desto weniger akzeptabel findet er das Leben seines Vaters. Theoretis~h mag Joachirn ein guter Soldat sein, doch sein Vater weiB, daB er zwar ein Exarnen, aber noch keine Bewahrung bestanden hat. Die Gestalt Joachims in diesem Roman ist von faschistischer Seit~ zurn Teil positiv gesehen warden, doch sind die faschi­ stischen Kritiker sich daruber irn klaren, daB Wiechert darin seine ,.Stellung zur Jugend, die ihm, dem Grubler und Traumer, in ihrer Gesundhei'.: weniger wertvoll erscheint" 104 }, zum Aus­ druck bringt. Die Faschisten sehen in der Figur Joachims Eigenschaften, die ihnen durchaus annehmbar erscheinen. Er ernpfindet nach faschistischern Urteil .. gesunder" als sein Va- ter. Als ,gesund" werden Eigenschaften wie ,Ta~, Kraft, Wirk­ lichkeitssinn"1~5} bezeichnet. Diese Eigenschaften fehlen je­ doch der Hauptfigur Orla. Indem der Auter seinen Hauptcharak­ ter Orla der Figur Joachims gegenuber skeptisch sein laBt und Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 62 - ihn die Auffassungen seines Sohnes mit wachsender Unruhe wahr­ nehmen laBt, nimmt er eine Gegenhaltung zu den Eigenschaften Joachims ein, die von den Faschisten gutgeheiBen werden. Auch die Aktivitat Joachims wird im Gegensatz zu der Passivitat seines Vaters von den Faschisten positiv gewertet. Fur Wiechert jedoch ist die Passivitat Orlas ( .. Ein Geduldiger ist besser denn ein Starker" (5.134)) positiver als der aktive Charakter, die .. starke", des Sohnes Joachim. Damit widerspricht Wiechert den Ansichten der Faschisten. DaB Joachim nicht in die Inselwelt seines Vaters paBt, wird auBer an dem Vater-Sohn-Verhaltnis besonders an dem Unterschied zwischen ihm und Marianne klar, die im selben Alter ist wie er. Wenn die beiden zusammen segeln oder reiten, ist das fur Joachim immer eine Expedition, die nur dazu da ist, sein tech­ nisches Wissen zu erweitern. Fur ihn ist es wichtig, solches Wissen p&rat zu haben, denn es konnte ja irgendwann einmal eine Situation entstehen, in der er dieses.Wissen hrauchen konnte. Marianne dagegen sieht solche Erlebnisse liberhaupt nicht aus dieser Perspektive. Es geht ihr urn die Freude am Se­ geln oder Reiten. Fur Marianne ist alles in ihrer Umgebung von einer Bedeutung, d~e Joachim nicht verstehen kann. Er findet die Welt, in der Marianne und sein Vater leben, sowieso unrea­ listisch. Von seinem und Mariannes Besuch bei dem uralten Fi­ scher berichtet Joachim, daB der Fischer nder reine Biograph" sei ... Er hat alle Platens von achzehnhundertzwolf ab gekannt" (5.243). Er findet es bemerkenswert, daB ein so alter Mann Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 63 - noch solch ein gutes Gedachtnis hat. Irn librigen ist der alte Fischer seiner Meinung nach eine ,.kornische Nudel 11 (5.242). Flir Marianne ist das, was der Fischer vor allern liber Thomas sagt, von groBer Bedeutung, und der Besuch bei ihrn hat fUr sie etwas Begllickendes, denn sie glaubt an seine Prophezeiung, daB Thomas noch lange auf der Insel bleiben und daB er die ,.goldene Krone .. (S.241) finden werde. Diese komischen Dinge aber, die der Fi­ scher von seinern Vater sagt, versteht Joachirn nicht. Sein We­ sen ist zu sehr gepragt vom Leben in der Stadt, als daB er im­ stande ware: sich in die Gedankenwelt dieser Menschen hineinzu­ versetzen. In dem Verhaltnis zwischen Marianne und Joachirn stellt Wiechert Marianne immer als den positiven Charakter dar, der ein Individualist und eng rnit der Natur verbunden ist. Joachirn dagegen paBt nicht in diese Welt der Insel. Er wird dargestellt als der Fremde, der aus der Stadt komrut und sich nicht diesern naturverbundenen, einfachen Leben anpassen kann. Wiec~ert wertet also Joachims Auffassungen und Empfindungen im Gegensatz zu denen Mariannes ab. Auch in diesem Roman berlihrt Wiechert wieder das Thema des Krieges und des Soldatenlebens. Nach dem Krieg ist Thomas von Orla der Heroenkult urn Kriegshelden zuwideT. Er zieht sich aus den Gesellsuhaftskreisen der ,.Helden 11 zurlick, denn: ,.Ich will nicht einer dieser ,unbesiegten Helden' werdei!. Ich weiB, bei .Gott, wie besiegt ich bin, rnehr als sie ~hnen ..... (S.15). Er ist nicht als Held aus dem Krieg zurlickgekehrt, sondern als Mann, den das Kriegserlebnis innerlich so erschlittert hat, daB Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 64 - er sich in einer Krise befindet, die ihn erkennen laBt, daB sein Leben nach dem Krieg und besonders in dieser Gesellschaft sinnlos ist und daB er noch einrnal von vorn anfangen und einen neuen Sinn in seinem Dasein suchen muB. Zu seiner Frau, die gesellschaftlich mit .. einfluBreichen Adrniralen" verkehrt, sagt Thomas dann auch angewidert: .. setz~ deinen Nelson auf meinen Globus, und dann kniet vor ihm nieder und betet ihn an, ihn und seine Einflusse. Mich aber ekelt vor allen diesen G2spen­ stern, verstehst Du? Wer das Spiel verloren hat, soll es zuge­ ben, wie ich es zugebe, und nicht behaupten, beteuern und be­ schworen, daB falsch gespielt worden sei" (S.12). Fur Thomas ist der soldatische Ge,Janke des Totenmussens qualend. Als er wahrend seiner Laufbahn als Kapitan in einem entscheidenden Moment nicht toten kon:ote, und liber Bord geworfen wurde, war das der AnlaB dafur, daB er noch lange daruber grlibelte, warurn er nicht wie ein Automat geschossen hatte. Er kornrnt zu der Er­ kenntnis, daB er nicht toten konnte, denn was er vor sich sah, .. war ein Stuck Leben, mit Atem gefullt, mit Blut, mit Leiden~ schaft, etwus, wozu ich den Tod, die Zerstorung in der Hand hielt" (8.159). Zu diesem Gestandnis Orlas meint Graf Pernein: .. zurn Toten ohne Sehen und Denken, zurn blinden Toten gehort eine gewisse grandiose Verachtung des Lebens, des eigenen, so gut wie des anderen" (S.160). Mit diesen AufEassungen Orlas und Perneins uber den Krieg offenbart Wiechert eine Haltung, die genau das Gegenteil von dem ist, was die Faschisten von einem Soldaten erwarteten. Anstatt heldischer Soldat zu sein, der flir das Leben nur eine .. grandiose Verachtung" hat, ist der Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 65 - Hauptcharakter ein grlibelnder Mensch, den der Krieg in Konflikt mit seinem Gewissen gebracht hat. Als Soldat hat Orla nicht aus dem Willen der Nation heraus gehandelt, sondern er hat seinen Gewissensfragen zu viel Raum gelassen. Solch ein Handeln ist im faschistischen Sinne negativ. Wiechert aber stellt gerade diese Handlungsweise Orlas als positiv dar. Das Ende von Orlas Lauf- bahn als Soldat wird von ihm nicht so sehr als Versagen, son- dern eher als die Erkenntnis gesehen, daB er den·falschen Beruf ergriffen hatte. Indem Wiechert die negative Haltung des Roman- helden zum Krieg und zum Soldatenleben gutheiBt, bezieht er Stellung gegen die faschistische Verherrlichung des Soldaten. Wiecherts Rlickzug auf eine Position der Innerlichkeit ist in diesem Roman deutlich sichtbar .. Es geht ihm vor allem urn die ~Freiheit des Herzens" 106 ). Der Hauptcharakter Thoma~ von Orla mochte in der Einsamkeit nicht nur einen neuen Sinn in seinem Dasein, sondern auch ein nfrohes Herz" gewinnen. Sein Handeln ist stark gepragt von seinem Geftihl. Diese nGeftihlsamkeit'' ist fUr die Nationalsozialisten besonderer AnlaB zur Kritik. In der faschistischen Kritik von Peters heiBt es abwertend: nDie Welt des Wiechertschen Werkes ist eine Welt der absoluten In- nerlichkeit, die ausschlieBlich unter der Herrschaft des Ge­ ftihls steht" 107 ). Die Flucht des Romanhelden in die Zurlickge- zoge1meit der Inselwe~t· ist eine Flucht vor der Realitat in eine unrealistische Welt. DaB Wiechert seinen Helden vor der - Realitat entfliehen laBt, ist flir die Faschisten nicht akzep- tabel, denn sie erwarten von einem Romanhelden n~cht nur, Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 66 - sich der Realitat zu stellen, sondern auch aktiv daran mitzu­ wirken. Indem Wiechert diese Flucht in eine .. andere Welt oder die Verwandlung dieser zerfallenen Welt in eine der Wahrheit und der letzten Gerechtigkeit" 108 ) positiv darstellt, nimmt er eine antifaschistische Haltung ein. Das Leben des Romanhel­ den ist jedoch nicht nur aus faschistischer Sicht unrealistisch. Wenn man aber den Zeitpunkt berlicksichtigt, zu dem das Werk entstanden ist, kann man verstehen, auch wenn man es nicht gut­ hei8t, daB Wiechert sich mit dieser Art der Darstellung gegen die Bedrohung des Faschismus wehrte. Dieser Roman kann ebenfalls zur Literatur der inneren Emigra­ tion gezahlt werden. Wiecherts antifaschistische Haltung ist aus den angeflihrten Textstellen deutlich erkennbar. Er libt Kritik am Faschismus und stellt dem wieder ein humanistisches Weltbild gegenliber, in dem der Einzelmensch sich in die Stille der N.atur zurlickzieht, urn sich at1 f die .. Freiheit des Herzens" zu konzentrieren und so einen Sinn in seinem Dasein zu finden. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 67 - 3. ZUSAMMENFASSUNG Die vorstehende Untersuchung hatte das Ziel,.den Begriff .. Inne­ re Emigration" zu erhellen und Ernst Wiecherts Zugehorigkeit zur inneren Emigration zu bestirnrnen. Obwohl der Begriff .. Innere Emigration" und die Rolle der ihm zugeordneten Autoren in der Sekundarliteratur nach wie vor urn­ stritten ist, kann es keinen Zweifel daruber geben, daB eine literarische innere Emigration sich wahrend des Dritten Reiches sehr wohl manifestiert hat. Verallgemeinernd laBt sich feststel ­ len, daB die Schriftsteller der inneren Emigration hurnanistische Werke schrieben, denen der volkische Charakter fehlte. Auf diese Weise druckten sie eine Gegenhaltung zurn Faschismus aus. Sie verherrlichten Ideen, die dem Faschismus entgegenstanden und werteten dadurch implizit faschistische Ideologeme ab. Diese Schriftsteller lieBen sich nicht in die faschistische Kultur­ politik einbeziehen. Ihre Absonderung ist als Zeichen des Pro­ tests gegen die fa~chistische Kulturpolitik zu werten. Ernst Wiecherts Haltung dem nationalsozialistischen Regime ge­ geniiber war anfangs miBversUindlich. Er wurde zunachst von den Faschisten positiv beurteilt, da er als konservativer burger­ licher Schriftsteller galt. Die Faschisten glaubten ihn fur ihre kulturpolitischen Ziele einsetzen zu konnen. Es ergibt Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 68 - sich jedoch aus der vorliegenden Arbeit, daB Wiechert sich nicht in die faschistische Kulturpolitik einbeziehen lassen wollte und in Wirklichkeit dem faschistischen Regime ablehnend gegenliberstand. Die Werke, die er in der nationalsozialisti ­ schen Zeit schrieb, z.B. Die Magd des Jurgen DoskociZ 3 Die Majorin 3 HirtennoveZZe und Das einfache Leben, konnen als Kritik am Faschismus aufgefaBt werden. Die Analyse dieser vier Werke ergibt, daB Wiechert zu den Schriftstellern der inneren Emigration zu rechnen ist. Er stellt dem faschistischen ein humanistisches Weltbild gegen­ tiber, in dem der Mensch als Eir.zelner seine Personlichkeit in Verbundenheit mit der Natur entwickelt. Seinen Werken fehlt der volkische Charakter. Er verherrlicht Ideen, di~ den faschi­ stischen Ideologemen entg~genstehen. Das zeigt insbesondere seine positive Beurteilung des gesellschaftlichen AuBenseiters. Die Helden der Wiechertschen Werke sind alles andere als die heroischen Menschen, die von der faschistischen Ideologie pro­ pagiert wurden. Inde~ Wiechert die Lebensauffassung seiner Hel­ den positiv beurteilt, wertet er die faschistische Auffassung vom Menschen ab. Die Kritik, die Wiechert auf diese Weise am Faschismus auBert, konnte den Leser zu g0lstigem Widerstand animieren. Obwohl man Wiechert kritisierte und seine Werke nur mit Vorbehalten in die Volksblicherei aufnahm, wurden seine Blicher nicht verboten. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za --- ----------------.- - 69 - Wiechert hat es also verstanden, seine Kritik so zu verkleiden, daB ihrn von faschistischer Seite Regirnefeindlichkeit 'nicht konkret nachgewiesen werden konnte. Aufgrund der weiten Ver~ breitung seiner Werke ist es daher nicht ausgeschlossen, daB er als Schriftsteller der inneren Emigration eine bedeutende Rolle gespielt hat. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 70 - 4 . ANMERKUNGEN 1) Vgl. Arnold, 8.247. 2) Vgl. Arnold, 8.253. 3) Vgl. Grimm, 8.407. 4) Ebd. 5) Emmerich, 8.428. 6) Vgl. Brekle, 8.68. 7) Ebd. 8) Ebd. 9) Ebd. 1 0) Vgl. Grirrun, 8.409. 11) Ebd. 12) Vgl. Brekle, 8.70. 13) Ebd. 1 4) Ebd. 15) Vgl. Grimm, 8.410. 16) Vgl. Grimm, 8.409. 17) Vgl. Grimm, 8.419. 18) Ebd. 19) Ebd. 20) Grimm, 8.411. 21) Ebd. 22) Ebd. 23) Grimm, 8.419. 24) Brekle, 8.71f. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 71 - 25) Vgl. Die Zeit Nr. 42 (12/10/79), 8.33-36. 26) Vgl. Die Zeit Nr.46 (9/11/79), 8.57. 27) Vgl. Die Zeit Nr. 47 (16/11/79), 8.57-58. 28) Vgl. 8chnell, 8. 17. 29) 8chnell, 8.23. 30) Vgl. 8chnell, s. 17. 31) Vgl. Vondung, 8.47. 32) 8tollrnann, 8.98. 33) Ketelsen, 8. 81. 34) Vgl. 8chnell, 8. 1 8. 35) Vgl. 8chnell, 8.20. - 36) Vgl. 8chnell, 8. 21 . 37) Grirnm, 8.413. 38) Vgl. Schnell, 8.22. 39) 8chnell, 8.22f. 40) Vgl. 8chnell, 8.26. 41) Vgl. Riha, 8.291. 42) Vgl. Vondung, 5.47. 43) Vgl. Ernmerich, 8.429. 44) Chatellier, 5.176. 45) Chatellier, 8.158. Sie bezieht sich auf Ernst Wiechert: Brief an einen jungen Dichter, in: Die Eiteratur (1932), 8.8-10. 46) Chatellier, 8.163. 8ie bezieht sich auf Err.st Wiechert: Jahre und Zeiten, in: S~rntliche Werke, Bd.9, Mlinchen 1957, 8.650. 47) Chatellier, S.163. Zitiert Ernst Wiecher+:, (s. Anrn. 46)- , 8.650. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 72 - 48) Chatellier, 8.163. 49) Vgl. Chatellier, 8.158, Anm. 28. 50) Chatellier, 8.159. 51) Vgl. Chatellier, 8.159. 52) Peters, 8.10. 53) Ebd. 54) Ebd. 55) Vgl. 8chnell, 8.58. · 56) Vgl. Grirnm, 8.414. Zitiert Ernst Wiechert: Der Dichter und die Zeit. ZUrich 1946, 8.22. 57) Grirnm, 8.414. 58) Vgl. Grirnm, 8.414. Zitiert. Ernst Wiechert, (s. Anm. 56) 8.26f. 59) Vgl. Peters, 8.5. 60) Peters 1 8.5. 61) Peters, 8.6. 62) Peters, 8.7. 63) Peters, 8.9. 64) Ebd. 65) Chatellier, 8. 184. . 66) Ebd. 6 7) Vgl. 8chnell, 8.37. 68) 'Jgl. 8chnell, 8.38. 69) 8chnell, 8.37. 70) 8chnell, 8.38. 71) Vgl. 8chnell, 8.37. 72) 8chnellf 8.38. 7 3) Vgl. 8chnell, 8.38. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 73 - 74) Vgl. 5chnell, 5.38. Zitiert Ernst Wiechert: Jahre und Zeiten. Erinnerungen. Erlenbach·- Zurich 1949, 5.376. 75) Vgl. 5chnell, 5.38. Zitiert Ernst Wiechert, (s. Anm. 74) 5.353. 76) Peters, 5.28. 77) Ebd. 78) Peters, 5.25. 79) Peters, 5.7. 80) Chatellier, 5.179. 81) Vogt, 5.69. 82) Peters,·5.2. 83) Peters, 5. 21 . 84) Ebd. 85) Vgl. Chatellier. 5ie zitie~t verschiedene Kritiker Wiecherts aus der deutschen Zeitschriftenpresse zwischen 1933 und 1945. 86) Peters, 5.25. 87) Peters, 5.23. 88) Vgl. Chatellier, 5.170. 5ie beruft sich hier auf verschie­ dene Artikel in nationalsozialistischen Zeitschriften, in denen dicses Thema hervorgehoben wird. In einigen dieser Zeitschriftenartikel wird in der Entwicklung Michaels ein 5innbild fur Deutschlands Weg seit dern ~eltkrieg gesehen. 89) Vgl. Chatellier, 5.170. 5ie beruft sich ebenfalls auf Artikel in nationalsozialistischen Zeitschriften, in denen die Tat der Majorin als christlich gesehen oder in denen eine soziologische Interpretation angeboten wird. 90) Peters, 5.23. 91) Ebd. 92) Vgl. Chatellier, 5.169ff. 93) Peters, 5.9. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za - 74 - g4) Vgl. Chatellier, S.170. Zitat aus: Deutsches VoZkstum. Monatsheft flir das deutsche Geistesleben, H.3. (1936), 5.203-207. 95) Peters, S.6. 96) Ebd. 97) Peters, S.24. 98) Ebd. 99) Peters, S.26. 100) Ebd. 101) Peters, S.28. 102) Bergstraesser, S.296. 103) Vgl. Chatellier, S.183. Zitat aus Die Bucherkunde und dem vom Amt Rosenberg herausgP.gebenen ,.Lektorenbrief". 104) Vgl. Chatellier, S.183. Sie bezieht sich ebenfalls auf Die Bucherkunde und den ,.Lektorenbrief". 105) Vgl. Chatellier, S.184. 106) Vgl. Schnell, S.38. Zitat aus: Ernst Wiechert: Jahre und Zeiten. Erinnerungen. Erlenbach- ZUrich 1949, S.265. 107) Peters, S. 7. 108) Vgl. Schnell, S.38. Zitat aus: ~rnst Wiechert, (s. Anm. 106) S.353. Stellenbosch University http://scholar.sun.ac.za 5. LITERATURHINWEISE Primarliteratur Wiechert, Ernst Sekundarliteratur - 75 - Das einfache Leben. Munchen: Verlag Kurt Desch 1950. Die Magd des JUrgen DoskociZ. Munchen: Albert Langen - Georg Muller Verlag 1932. Di~ Majorin. Munchen: Europaischer Jugendbuch Verlag 1952. Der Taten~aZd. Zurich: Rascher Verlag 1946. HirtennoveZte. Zurich: Verlag der ?.rche 19 46. Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Deutsche Literatur im ExiZ 1933-1945. Becher, Hubert Bergstraesser, Arnold Bd.1, Dokumente. Frankfurt/M.: Athenau~ Fischer Taschenbuch Verlag 1974. Ernst Wiechert, in: Stimmen der Zeit 86 (1961) 1 8.270-286, Das einfache Leben. Zu dem Roman von Ernst Wiechert, in: Monatshefte fUr Deutschen Unterricht, Deutsche Sprache und Literatur 38 (1946), 8.293-297. 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Schneider, Hans Ernst Schnell, Ralf Seidlin, Oskar Stegemann, Herbert Stollrnann, Rainer Vogt, Jochen Vondung, Klaus Welzig, \'/erner - 78 - Ernst Wiechert. Kritiese analise van sy werk en sy invloed, in: Standpunte 3, H.4. (1948) I 8.43-50. Ernst Wiechert. Von des Menschen Ver­ wandlung und Heirnkehr, in: Literatur. · Monatsschrift ftir Literaturfreunde 39, H.7. (1937), S.394-395. Literarische Innere Emigration 1933- 1945. Stuttgart: Metzler 1976. Begegnung mit Ernst·Wiechert, in: German Quarterly 19 (1946), 8.270-273. Ernst Wiechert, ~n: Deutsche Rundschau 77, H.4. (1948) I S.44-49. Faschistische Politik als Gesamtkunst­ werk. Tendenzen der Ksthetisierung des ' politischen Lebens im Nationalsozialis­ mus, in: H. Denkler/K. Prtioon (Hg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Stuttgart: Reclarn 1976, 8.83-101. Aspe~te erzahlender Prosa, in: H. Geiger et al. (Hg.): Grundstudium Literaturwis­ senschaft. Hochschuldidaktische Arbeits­ materialien. 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